Es ist ein Abend, der aus der Reihe fällt. Weil er bis in den Kern reduziert, was in der Comedy-Branche oft längst Dimensionen sprengt. Statt eines „Höher, schneller, weiter“ gilt bei Nektarios Vlachopoulos in Mannheim ein „Langsamer, bedachter, tiefer“. Wer den Slam-Poeten jemals bei einem seiner Reimgefechte erlebt hat, der weiß, dass die große Geste seine Sache nicht ist. Und so tritt er, ganz in Schwarz gekleidet, auf die Bühne der Alten Feuerwache und hat – bis auf einen Sidekick zur akustischen Unterstützung – nur die Bühne, das Mikrofon, seine Worte und sich selbst zum Überzeugen. Dass das auch in Zeiten von technisch schier grenzenlosen Möglichkeiten für großartige Unterhaltung reicht, spürt ein ausgewähltes Publikum bei dieser Premiere.
Die Substanz zwischen den Zeilen
„Das Problem sind die Leute“ hat der 36-jährige Verbalakrobat sein Programm genannt – und meint damit vor allem: ihre Streitlust und den Schmerz, den sie damit verursachen. Die erste Frage geht daher konsequent an das Publikum. Ob hier wohl jemand mit einem Problem sei, das er – Nektarios der Große – lösen könne? Debatten mit Kollegen auf der Arbeit einer Zuschauerin kann er zwar ebenso wenig befrieden wie Frankfurts Oberbürgermeister Feldmann sofort aus dem Amt entfernen, wie eine andere Besucherin wünscht. Aber der Ansatz partizipativer Lösungsfindung funktioniert hervorragend. Und das ist keineswegs etwas Geringes. Denn Nektarios Vlachopoulos stellt Nähe her und interessiert sich – jenseits aller dramaturgischen Effekte – wirklich für das, was ihm gesagt wird.
Es klingt in einer digitalisierten Realität notwendigerweise pathetisch, aber der Slamer vertraut auf die analoge Kraft der Worte und so auch den Menschen, die sie aussprechen. Das kommt an, weil er sich gleichzeitig auch selbst sichtbar macht. Indem er über das Ende seiner Ambitionen als Lehrer spricht, den „apollonischen Ruf der freien Künste“ augenzwinkernd als Wendepunkt seines Lebens markiert – aber auch die Auswirkungen nicht kaschiert.
Als Vlachopoulos etwa die Chancen, als Künstler eine Wohnung zu finden, niedriger einschätzt als die eines obdachlosen Frauenmörders, geht zuerst ein gellendes Lachen durch die Reihen, das nachdenkliche Schlucken folgt Sekunden später. Es ist die Vereinfachung des Tiefsinns, die Vlachopoulos hier betreibt. Denn in fast jedem seiner Sätze steckt mehr, als zuerst hörbar wird. Die Substanz steht zwischen den Zeilen. In den vernichtenden Kritiken, die er prophylaktisch über sich selbst schreibt. Den wilden Eskapaden mit seiner Freundin. Den sozialen Beobachtungen von Lehrer-Kollegen. Wer gerne mal testen will, wie hoch der Anspruch an ein kundiges Kleinkunst-Publikum sein darf, muss nur dasitzen, lauschen – und schwärmen. Kostprobe gefällig? Als der Humorist über sein Patenkind mit dem denkwürdigen Namen Sokrates berichtet, führt die Argumentation vom Speziellen ins Allgemeine. Die Tatsache jedenfalls, dass ein Kind im Alter von einem Jahr stehen könne, sei noch keine Aussage über seine Lebensfähigkeit an sich: „Eine Pfandflasche kann auch stehen, sogar ein Jahr lang – und die würde ich deswegen trotzdem nicht taufen!“ Es sind Pointen wie diese, die Um-die-Ecke-Gedachtes so herrlich einfach erscheinen lassen. Und die auch allein deswegen funktionieren, weil Vlachopoulos sie mit einem solch heiteren Ernst zu präsentieren versteht. Während der Poet etwa über seine Teenager-Jahre reflektiert und seine Interessen mit der heutigen Jugend vergleicht, wird zwangsläufig eine dezente Schieflage sichtbar: „Also ich mochte damals Berentzen Saurer Apfel und Stefan Raab, die jungen Menschen heute interessieren sich für schmelzende Polkappen und saubere Luft.“ Die bittersüße Ironie dahinter bleibt, dass Vlachopoulos’ Anekdoten ohne die moralische Dimension des vermeintlichen Besserwissers auskommen. Oder mit anderen Worten: Der Bühnenkünstler lässt seine Geschichten einfach so stehen, damit wir sie fertigdenken, uns unseren Reim darauf machen.
Deswegen bleibt dieser Abend haften. Er endet für niemanden in den Reihen genau gleich. Der kreative Kopf hinter allem besitzt sogar die Größe, uns an einer elementaren Sorge teilhaben zu lassen. In einer Mischung aus vorgelesener Slam-Poesie, Kabarett und Comedy gibt es diesen Moment der Stille, in der ein angefasster Nektarios Vlachopoulos vorlesend darüber nachdenkt, ob sein Talent reicht, um ein Leben zu führen, das weiter reicht. Einige denkwürdige Augenblicke lang bleibt es still, dann brandet der Jubel auf – und spendet dem Künstler des Abends die erlösende Antwort.
Nektarios Vlachopoulos
Der Slampoet und Kleinkünstler Nektarios Vlachopoulos, 1986 in Bretten geboren, studierte Germanistik und Anglistik in Heidelberg auf Lehramt, engagierte sich aber bereits während seines Studiums als Autor auf Poetry Slams. 2011 wurde Vlachopoulos deutscher Poetry Slam-Meister, auch danach sicherte er sich bei mehreren Landeswettbewerben in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg den Sieg.
2017 erhielt der heute 36-Jährige den Förderpreis des Kleinkunstpreises Baden-Württemberg, in diesem Jahr wurde Vlachopoulos als Senkrechtstarter des Bayrischen Kabarettpreises ausgezeichnet. 2018 erschien mit „Niemand weiß, wie man mich schreibt“ ein erstes Buch mit eigenen Texten. „Das Problem sind die Leute“ ist nun das neue Programm. mer
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