Gastbeitrag

So ordnet der Integrationsbeauftragte Engins Mannheimer Heimspiel ein

Claus Preißler schreibt über das Heimspiel-Konzert der deutsch-türkischen Band Engin vor mehr als 500 begeisterten und sehr diversen Zuhörern in der Alten Feuerwache

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Claus Preißler
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Engin Devekiran und sein Power-Indie-Rock-Trio spielten in der Alten Feuerwache ihr bisher größtes Konzert in Deutschland. © Thomas Tröster

Mannheim. Junge Frauen mit Minirock oder Kopftuch, ältere Damen im bunt Gebatikten oder eleganten Kostüm, mittelalte Männer mit und ohne Haaren auf dem Kopf und im Gesicht, alte Rockbären, die in früherer Zeit so manches Krautrock-Event zu schätzen wussten, verliebte Pärchen jeden Alters mit und ohne Tattoos in der Haut, mit und ohne Bier in der Hand - was wurde am Samstag in der Alten Feuerwache geboten, dass ein so illustres Publikum zusammenkam, miteinander feierte und kollektiv begeistert war? In jedem Fall ein besonderes Musikerlebnis, das die drei exzellenten Musiker der jungen Mannheimer Rockband Engin mit minimalistischer Besetzung aus Bass, Gitarre und Schlagzeug bescherten.

Es geht oft um Sehnsucht, Liebe, Heimat und Entwurzelung

Zu hören gab es türkische Chansons und Anadolu-Rock-Klassiker (vornehmlich der 1960er und -70er Jahre), interpretiert und intoniert mit Stilmitteln des Independent-Rock der 1980er und -90er Jahre offenbarten sie ein ebenso stimmungsvolles wie eigentümliches Hörerlebnis. Wer des Türkischen mächtig war - und das waren rund zwei Drittel der Anwesenden -, musste nicht lange gebeten werden, in den teilweise dreistimmigen Satzgesang einzustimmen.

Thematisch ging es bei Engin in der AFW in den durchweg aus dem Türkischen gecoverten Stücken um Sehnsucht, Liebe, Heimat und Entwurzelung. © Thomas Tröster

Auch bei den vom ersten Album „Nacht“ (2023) gespielten selbst komponierten Liedern - vornehmlich in deutscher Sprache - konnte sich die Band der stimmlichen Unterstützung des sangesfreudigen Publikums sicher sein.

Thematisch geht es in den durchweg aus dem Türkischen gecoverten Stücken des neuen Albums „Mesafeler“ („Distanzen“) um Sehnsucht, Liebe, Heimat und Entwurzelung. Den besonderen Kontext für diese menschlichen Universalien liefert die persönliche Biografie Engin Devekirans, des Frontmanns und Namensgebers der Band: Als Student der Popakademie erhielt er Kontakt zur Orientalischen Musikakademie Mannheim, durch die er die Fährte zu den musikalischen Wurzeln aufnahm, die für Millionen der sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus der Türkei, zu denen auch sein Vater Turgut gehörte, so prägend und (über)lebenswichtig waren.

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Entsprechend wurden Lieder wie der Klassiker „Gurbet“ von Özdemir Erdogan am Abend gefeiert. „Gurbet“ bedeutet Heimweh oder „in der Fremde sein“ - ein Lebensgefühl, das mittlerweile auch im Gedächtnis der hier in Deutschland geborenen Folgegenerationen tief verankert ist, denn auch sie kennen das zweifelnde Gefühl der Zugehörigkeit aus eigenen Erlebnissen nur zu gut.

Claus Preißler (54) ist seit 2005 Beauftragter für Integration und Migration der Stadt Mannheim und war nach dem Studium u.a. als Kritiker dieser Redaktion tätig. © Pressefotoagentur Thomas Tröste

Die eigenen Ambivalenzen seiner Identität hat Engin, als Spross einer deutsch-türkischen Familie, in dem Song „Halb“ in Worte gefasst: „Woher weißt du, wer du bist, wenn du was du nicht hast vermisst?“ Ein Lied, mit dem er, nur mit der Akustikgitarre, so manchem Gast der offiziellen Einweihungsfeierlichkeit des Erinnerungsortes an die Mannheimer „Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter “ im vergangenen Jahr Tränen in die Augen trieb.

Wertvolle Empfehlung für unsere Stadt und Gesellschaft

Ein Gänsehautmoment auch in der Alten Feuerwache. Innere Zerrissenheit? „Ich habe für mich entschieden, alles, was ich mitbekommen habe, zu umarmen und zu lieben“, ruft Engin in den Saal und erhält von mehr als 500 Fans beim bisher größten Konzert seines Power-Indierock-Trios in Deutschland lautstarke Zustimmung. Das ist auch auf unsere Stadt und unsere Gesellschaft bezogen eine wertvolle Empfehlung - uns als Menschen mit Offenheit zu begegnen und unsere Vielfalt zu umarmen und gemeinsam wert zu schätzen. An diesem Abend schien es, als sei das bereits Normalität. Mindestens ist es jedoch eine vielversprechende Zukunft.

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