Wie ein schicksalhafter Donnerhall schlug das f-Moll Streichquartett von Felix Mendelssohn Bartholdy im Mozartsaal Schloss Schwetzingen ein, als das Aris Quartett Wut und Schmerz, Zorn und Hadern mit Gott auflistete und mit quasi unbändiger, ungebremster Vehemenz ausspielte. Der Komponist schrieb sein Opus 80 nach dem plötzlichen Tod seiner Schwester Fanny, er selbst sollte wenige Monate später folgen. Mendelssohn war tief getroffen vom für ihn Unfassbaren, das er in eine bis dato „unerhörte“ Quartettkunst fasste, die weit über seine Zeit hinausreicht und in seinem Schaffen wie ein Monolith dasteht.
Unter dem Namen „Aris“ musizieren Anna Katharina Wildermuth und Noemi Zipperling (Violine), Caspar Vinzens (Viola) und Lukas Sieber (Violoncello) seit 14 Jahren gemeinsam mit großem Erfolg und einer internationalen Karriere. Für ihren Auftritt im Schloss schmücken sie sich durch elegantes Outfit, man schaut sie gerne an und hört ihnen noch viel lieber zu. Denn das Feuer, das sie mit diesem Streichquartett entfachen, entsteht aus einem geradezu vehementen Zugriff, um das Schicksal zu bezwingen. Präzision bleibt dabei nicht auf der Strecke – sie ist die Grundlage für ein Spiel, das hinreißend und ergreifend wirkt.
Staunen über Fantasie
Die Musiker loten die spieltechnischen Grenzen aus, zumal die Primgeigerin bis hin zu Überbelichtungen das Material ausreizt. Zustande kommt dann ein furioses Epitaph als Erinnerungsstück, dessen Unbedingtheit Verunsicherung ob der seelischen Abgründe und Staunen über die kompositorische Fantasie hervorruft. Endzeit und Vergeblichkeit zu akzeptieren, fällt angesichts des Todes schwer.
In die Riege zeitgenössischer Komponisten, die speziell die Romantik auf deren Wertigkeit für das Heute annehmen und es mit komplementären Elementen aufzufrischen versuchen, beispielhaft sei Hans Zenders „Winterreise“-Neuformulierung genannt, hat sich auch Aribert Reimann eingereiht. Seine Bearbeitung der sechs Gesänge op. 107 von Robert Schumann für Streichquartett und Sopran lebt von einer Kontrastierung, wenn er den kurzen gefassten Liedern klangliche Versprödungen beimischt. Hier schien die wunderbare Christiane Karg noch etwas zögerlich die Räumlichkeit klanglich zu ergründen. Das änderte sich grundlegend nach der Pause mit fünf Ophelia-Liedern von Johannes Brahms in der Reimann-Transkription, als die Sopranistin die eher im Volkston gehaltenen Linien zauberhaft nachzeichnete.
Als Höhepunkt der Adaptionen von Aribert Reimann dürfen die acht Lieder plus Fragment „ . . . oder soll es Tod bedeuten?“ von Felix Mendelssohn Bartholdy gelten, denen Reimann sechs instrumentale Intermezzi beimischt. Christiane Karg erfüllte die verschiedenen Stimmungen mit lebendiger Hingabe; sie ließ ihre Stimme changieren von Innigkeit bis zum Leuchten und setzte den Intermezzi-Schraffuren sängerischen Glanz entgegen. Das Messen des Alten am Neuen in solchen Bearbeitungen macht Sinn. - Als Zugabe erklang das Mahler-Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, ebenfalls in einer Bearbeitung für Streichquartett und Sopran, gesungen wie ein transzendentes Schimmern und Leuchten. Erfreulicherweise aber bleiben die Interpreten doch in dieser Welt, und die Hörer freuen sich sehr auf deren nächsten Auftritt.
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