Ich bin seit Beginn der 1970er Jahre in der Frauenbewegung aktiv, zuerst im Frauenzentrum in der Mannheimer Riedfeldstraße und seit 1978 im Frauenbuchladen Xanthippe in den Quadraten. Damals entstanden überall in der Republik und anderen Ländern Frauengruppen und -projekte. Sie setzten sich auf allen gesellschaftlichen und privaten Ebenen für mehr Gleichberechtigung ein. Wir haben seither sehr viel erreicht, wenngleich noch viel zu tun bleibt.
Viele Gesetze wurden im Sinne der Frauenbewegung reformiert, vom Abtreibungsparagrafen - an dem sich damals der Aufruhr entzündete - über das Ehe-und Familienrecht, Arbeitsgesetze (das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit) bis zur jüngsten Änderung im Sexualstrafrecht, wo nun gilt: Ein Nein ist ein Nein, und wer das nicht respektiert, kann wegen Vergewaltigung verurteilt werden.
Vieles ist heute so selbstverständlich, dass jüngere Frauen sich (zum Glück) gar nicht mehr vorstellen können, dass es vor gar nicht allzu langer Zeit noch ganz anders war: Frauen können Polizistin, Pilotin, Astronautin und sogar Soldatin werden. Sie sind Ärztinnen, Juristinnen und erfreulicherweise immer öfter Professorin an einer Universität. Und immer noch Verkäuferin, Friseurin, Erzieherin und Sozialarbeiterin.
Frauen entscheiden weitgehend, ob sie mit einem Mann oder einer Frau leben, heiraten, sich scheiden lassen oder allein leben wollen, ob, wann und wie viele Kinder sie bekommen. Sie können ihren Namen behalten, wenn sie heiraten, es soll sogar vorkommen, dass ein Mann den Namen seiner Frau annimmt.
Frauen gründen Firmen, sind erfolgreich oder scheitern, sie gehen in die Politik, werden Ministerinnen und Ministerpräsidentinnen, und sie können sogar Bundeskanzlerin werden. Man stelle sich vor: Am Ende dieses Jahres werden vielleicht drei sehr wichtige Staaten dieser Welt von Frauen geführt: die USA von Hilary Clinton, Großbritannien von Theresa May und Deutschland von Angela Merkel!
Männer haben die Macht
All das wäre ohne die Demonstrationen und die hartnäckigen Bemühungen der Feministinnen in allen gesellschaftlichen Bereichen - Schulen, Universitäten, Parlamenten und nicht zuletzt den Medien - nicht erreicht worden.
Als wir Xanthippe gründeten, war die wichtigste Motivation, einen Ort zu schaffen, wo Frauen sich treffen und informieren und vor allem die Bücher und Zeitschriften kaufen konnten, die in den damals gerade entstandenen Frauenverlagen erschienen. Diese Bücher konnte man nämlich in "normalen Buchhandlungen" nicht bekommen, und das Internet gab es damals noch nicht.
Heute gibt es Bücher von Frauen überall - die ganze Buchbranche ist weiblich. Frauen schreiben, lektorieren, illustrieren, layouten, übersetzen, verlegen Bücher, sie arbeiten als Agentinnen und verkaufen die Bücher schließlich - hauptsächlich an Frauen. Nur die Chefposten in den großen Publikumsverlagen, die bekommen immer noch vorwiegend Männer. Frauen machen die Arbeit, Männer haben die Macht.
Das Fernsehen ist ohne die Frauen nicht mehr vorstellbar. Heute werden die wichtigen Nachrichtensendungen und Kulturprogramme selbstverständlich auch von Frauen geleitet, und die Mehrzahl der großen politischen Talkshows wird von Frauen moderiert.
Sprachliche Gleichbehandlung
1971 löste es noch einen Skandal aus, als zum ersten Mal eine Frau die Nachrichten vorlas. Heute geht nur dann noch ein Aufschrei durchs Land, wenn eine Frau es wagt, ein EM-Fußballspiel zu kommentieren. Frauen sind also vor allem sichtbar geworden und können weitgehend selbst bestimmen, wie sie leben möchten. Nicht zuletzt in der alltäglichen Sprache sind Frauen sichtbar, man spricht von Mitbürgerinnen und Mitbürgern, von Studierenden und nicht mehr von Studenten, es gibt auch längst Merkblätter für die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen.
Dennoch darf nicht verschwiegen werden, dass es noch viele Defizite gibt. Frauen verdienen nach wie vor etwa 20 Prozent weniger als Männer und das vor allem deshalb, weil die Jobs, die vor allem von Frauen gemacht werden, schlechter bezahlt werden. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist bei uns in Deutschland noch lange nicht erreicht, gut ausgebildete Frauen bekommen entweder gar keine Kinder oder sehr spät. Mutter werden bedeutet immer noch, Einschränkungen im beruflichen Werdegang und vor allem später in der Rente hinnehmen zu müssen. Das größte Armutsrisiko tragen alleinerziehende Mütter.
Es gibt also noch viel zu tun für unsere Töchter und Enkelinnen. Aber wie heißt es so schön bei Charlotte Witten (1851-1926): "Frauen müssen immer noch doppelt so gut sein wie Männer, um die gleiche Anerkennung zu bekommen. Zum Glück ist das nicht besonders schwierig." Wir schaffen das!
Regine Elsässer - Autorin, Frauenrechtlerin und Buchhändlerin
Die Autorin: Regine Elsässer (Bild), geboren 1946, studierte in Köln, Hamburg und im finnischen Turku die Fächer Germanistik, Theaterwissenschaften und Skandinavistik. Seit vielen Jahren übersetzt sie Romane, Theaterstücke und Sachbücher aus dem Schwedischen, Dänischen und Norwegischen, kürzlich sind Romane von Marie Hermanson und Klas Östergren bei Suhrkamp und Kein & Aber erschienen.
Der Buchladen: Außerdem ist sie seit der Gründung 1978 Mitinhaberin des Frauenbuchladens Xanthippe in der Mannheimer Innenstadt. Zusammen mit ihrem Bruder Thomas gehört sie zum Gründungsvorstand der Martin-Elsaesser-Stiftung, die das architektonische Erbe ihres Großvaters Martin Elsaesser verwaltet und fördert. red (Bild: Kress)
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