Christian Tetzlaff hat leider Corona mitgebracht. Geholt hat sich der renommierte Geiger diese Infektion auf einer USA-Reise. Und das ist schon ein bisschen tragisch, denn es heißt, dass Tetzlaff und das von ihm angeführte Streichquartett in Schwetzingen auch dieses Jahr nicht Residenzensemble bei den SWR-Festspielen sein können. Was schon 2021 ausgefallen war, natürlich ebenfalls wegen Corona. Zwei von drei Konzerten können dieses Mal nicht stattfinden.
Doch der Ersatz ist hochkarätig, und das ist hier nicht bloß die Behauptung des Veranstalters. Den ersten Abend übernimmt das junge und schon vielfach preisgekrönte Leonkoro Streichquartett. Erwähnen sollte man dabei die Auszeichnung „MERITO“: Sie ist deshalb ungewöhnlich, weil sie nicht in einem offiziellen Wettbewerb vergeben wird. Stattdessen werden die infrage kommenden Ensembles langfristig beobachtet – und zwar „geheim“, während des laufenden Konzertbetriebs. Der Initiator des „MERITO“ ist Valentin Erben, einst Cellist im wirklich legendären Alban Berg Quartett.
Ungewöhnlich ausgefeilt
Bei ihrem Schwetzinger Debüt beweisen die vier Leonkoro-Instrumentalistinnen und -Instrumentalisten (mit den Brüdern Jonathan und Lukas Schwarz als „Eckpfeilern“), dass ihre Interpretationen feurig, aber auch schon „fertig“ sind. Soll heißen: ungewöhnlich ausgefeilt. Im Mozartsaal des Schlosses fängt das mit dem frühen „Langsamen Quartettsatz“ Anton Weberns an. Er tönt noch spätromantisch, Weberns Weg in die Moderne und zu aphoristischer Verknappung ist nur zu erahnen. Doch das Leonkoro Streichquartett dosiert schon hier die Wellen der Erregung, ihr Emporschwappen und Wiederabebben, bemerkenswert präzise.
Und in Haydns drittem Streichquartett der Sammlung Opus 33, das in seiner Genrehaftigkeit die Geigen fast wie Vögel zwitschern lässt, hat jeder Satz sein individuelles Klangbild. Dabei nimmt mit den Registerwechseln auch das Klangvolumen zu beziehungsweise ab. Beethovens Opus 130 schließlich fehlt in Schwetzingen die „Große Fuge“, in der „Cavatina“ waltet eine schöne Schlichtheit. Aber punktuell, etwa im zweiten Satz, wird die Musik presto so zugespitzt, dass der berühmte Ritt auf der Rasierklinge gelingt.
Die Messlatte wird von den Leonkoros also ziemlich hoch gelegt: für das französische Diotima Quartett. Es spielt am zweiten Abend, auf einem Konzert-Trip zwischen Köln und Spanien hat es eine kleine Umleitung nach Schwetzingen genommen. Und kann die Programmabfolge übernehmen, die vom Tetzlaff Streichquartett geplant war: Schubert trifft auf Schönberg – was zu einem „geistigen Crescendo“ führen soll.
Mit Hochglanzschicht
Seit über 25 Jahren gibt es schon dieses französische Ensemble namens Diotima. Seine Klangkultur ist eminent, wobei der Erste Geiger Yun-Peng Zhao noch einmal eine Hochglanzschicht darüberlegt. Aber auch schneidend scharf phrasieren kann. Schuberts „Tod und das Mädchen“ leuchtet in akkordisch dichtem Streicherklang. Vibriert vor innerer Dramatik.
Vor dem zweiten Satz – der es zitiert – ertönt das Lied, das dem Quartett den Titel gab. Sarah Maria Sun singt es, nicht ganz so intensiv wie später in der Zugabe. Aber vor allem ist die Sopranistin für das zweite Schönberg-Streichquartett gekommen, das im letzten Satz die vielzitierte „Luft von anderen Planeten“ atmet, die tonale Schwerkraft überwindet. Was bei Sun zum Teil ein hochdramatisches Ereignis ist. Das Schmerzen kennt.
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