Mit Anfang 20 muss man Samstagabend nicht im Club auf Hip-Hop oder House abzappeln. Man kann sich auch ein Dirndl oder Lederhosen anziehen und zum Schunkeln in die SAP Arena gehen. Das machen natürlich nicht nur junge Leute -aber eine ganze Menge. Als Semino Rossi (52), der argentinisch-italienische "Schlager-Pate" aus Rosario, zu seinem Schmacht-Hit "Bella Romantica" anhebt, grölen junge Männer auf der Tribüne wie im Fußballstadion. Im Plastikbecher vibriert die Weinschorle, unterm Karohemd hüpft das Herz.
Die "Schlagernacht des Jahres", die regelmäßig vom Radiosender SWR 4 in Mannheims größter Halle veranstaltet wird, hat definitiv kein Nachwuchsproblem. Gefühlt die Hälfte der rund 10 000 Besucher ist unter 40, viele Teens und Twens tummeln sich vor allem im Innenraum der Arena. Manche haben ihre Eltern und/oder Großeltern mitgebracht. Was "Wetten, dass . . ?" im Fernsehen zuletzt nicht mehr geschafft hat, gelingt den Schlagerstars der Gegenwart mit Leichtigkeit: Samstagabend-Unterhaltung für die ganze Familie.
"Howie" gleich zum Auftakt
Für jeden ist etwas dabei: Für Mama mit dem zartfühlenden Herzen gibt es gleich zum Auftakt Howard Carpendale und Olaf von den Flippers. Für Papa, der auch Wert aufs Optische legt, kommen Laura Wilde und Kristina Bach in den ersten zwei Stunden auf die Bühne. Dort können sie sich frei bewegen: Musiker brauchen echte Schlagerstars nicht. Warum auch, wenn man eine Eins-A-Studioaufnahme über die Boxen laufen lassen kann? Etwa zur Mitte der Veranstaltung ruft Moderator Michael Branik zum Applaus "für die Technik" auf - das ist natürlich nicht als Witz gemeint.
Gesungen immerhin wird live. Obwohl sich das beispielsweise Andrea Berg und Andreas Gabalier auch noch locker sparen könnten. Die beiden unangefochtenen Superstars des Abends genießen die Textsicherheit des Publikums, was vor allem Gabalier dazu nutzt, tief durchzuatmen. Es ist heiß in der Halle. Dem Grazer "Volks-Rock-'n'-Roller" läuft der Schweiß in Strömen, auch wenn er gerade einmal eine halbe Stunde auf der Bühne steht.
Juchzen zum Volks-Rock-'n'-Roller
In Lederhose, ärmelloser Weste und Sonnenbrille bringt Gabalier die Damenwelt in der Arena zum Juchzen. Irgendwann fliegt eine Bluse auf die Bühne, Gabalier wischt sich damit über die dauerfeuchte Stirn. Und am Ende sorgt er dann auch noch für den Gänsehautmoment des Abends. Erst grüßt er Xavier Naidoo und erinnert an die tolle Zeit bei der vom Mannheimer gestalteten Fernseh-Show "Sing meinen Song". Dann greift er - tatsächlich live - in die Saiten der Gitarre und spielt "Einmal sehen wir uns wieder", eine dem unter dramatischen Umständen verstorbenen Vater und der ihm nachgefolgten Schwester gewidmete Ballade. In der Arena wird es still, es funkeln die Smartphone-Lichter wie Sterne und es gibt ihn wirklich: einen kleinen, stillen Moment der Wahrhaftigkeit.
Neben Gabalier sind die Begeisterungsstürme dieses Abends vor allem für Andrea Berg reserviert. Die offenherzige Antipodin von Helene Fischer dehnt ihren 25-Minuten-Auftritt auf eine knappe Dreiviertelstunde, dirigiert die Menge wie ein Maestro sein Orchester und feiert eine Party in der Party. Alle anderen müssen sich davor verneigen, auch die Altstars Vicky Leandros und Bernhard Brink, die gegen Ende noch einmal den Schunkelfaktor anheben. Und zwei neue Gesichter hat die Schlagernacht dann auch zu bieten. Die beiden jungen Mädels von Lindt Bennett kommen bescheiden und charmant daher - und setzen stimmlich definitiv Maßstäbe. Auch musikalisch bringen sie angenehme Abwechslung, mit Country-Einflüssen und - man mag es kaum glauben - einer Variation des Four-on-the-Floor-Rhythmus'.
Für die Fans ist das vielleicht alles ein bisschen viel Neues, der Jubel für das Duo fällt zunächst verhalten aus. Am Ende aber haben sich Lindt Bennett die ersten Sporen verdient, fassen sich gerührt ans Herz. Genau dahin zielte dieser Abend - genau da ist er gelandet.
Die SWR4 Schlagernacht
Das Prinzip ist so einfach wie erfolgreich: Man nehme ein Dutzend Stars der Szene, packe sie in eine Arena und lasse sie nacheinander auftreten.
Die Auftritte dauern rund 25 Minuten, in der Mitte der sechs Stunden langen Veranstaltung gibt es eine längere Pause.
Neben Vertretern der neuen deutschen Schlagerwelle wie Andrea Berg und Andreas Gabalier sind auch Altstars wie Bernhard Brink und Howard Carpendale dabei.
Ross Antony, bekannt als TV-Blödelbarde, sagt seinen Auftritt übrigens kurzfristig ab: Er habe eine andere Veranstaltung vorgezogen, heißt es.
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