Schauspiel - Claus Peymanns Inszenierung von „König Lear“ am Stuttgarter Schauspiel

Schließlich doch altersmilde

Von 
Monika Köhler
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Der Wiener Burgschauspieler Martin Schwab mit Lea Ruckpaul. © Aurin

Das war die falsche Entscheidung: die scheinheiligen Nachkommen für die geheuchelte Liebe mit Macht und Land zu belohnen und die ehrliche Lieblingstochter an den nächsten daher gelaufenen König zu verschachern. Mit dem „Nichts“, das Cordelia ihren doppelzüngigen Schwestern bei der Abdankung des Vaters entgegensetzt, nimmt William Shakespeares Tragödie „König Lear“ ihren Lauf. Und beginnt am Schauspiel Stuttgart ein mit Pause fast vierstündiger Theaterabend, der die in ihn gesetzten Erwartungen nur punktuell erfüllt. Claus Peymann, der 2017 das Zepter als Intendant des Berliner Ensembles in jüngere Hände legte, ist als Gastregisseur an seine Wirkungsstätte der 1970er Jahre zurückgekehrt.

Hier liefert der sonst so streitbare, inzwischen wie Lear 80-jährige Theaterkönig eine solide, allzu barmherzige, vielleicht der Altersmilde geschuldete Inszenierung ab. Gemächlich fließt die Neufassung von Jutta Ferbers nach der Übersetzung von Wolf Baudissin mit einer von den Dramaturgen Ferbers und Jan Hein nachsichtig behandelten Shakespeare-Vorlage dahin. Sie zerfällt, ohne Höhen und Tiefen, mit kaum Provokation und spärlichen politischen Sticheleien, ins Gehaltlose, wenn die karge, nach hinten ansteigende Guckkastenbühne (Karl-Ernst Herrmann) Augenblicke lang dunkel oder leer bleibt.

Ohne pseudomoderne Effekte

Ohne Videogeflimmer, multimedialen Schnickschnack, nervtötende Schreiereien und Chorgesänge setzt Peymann indes auf pures Schauspiel mit menschlichen Zwischentönen, bei dem aber auch viel in Richtung Publikum erzählt wird. Fesselnd gelingt dies dank der Darsteller, die in der Mehrheit überzeugen. Ganz vorne steht der emotional wie mimisch und gestisch ausdrucksstarke Gloster von Elmar Roloff, der auch schon Engagements am Theater Mannheim hatte. Lea Ruckpaul verkörpert Tochter Cordelia ebenso glaubhaft wie sie als Narr mit von Peter Handke übertragenen Liedern bezaubert.

Dagegen ist der Wiener Burgschauspieler Martin Schwab als König Lear, der seine Krone an den Nagel hängt, keine glückliche Besetzung. Von Beginn an zu unentschieden und zu zaghaft füllt er die Figur des unnachgiebigen Herrschers nicht aus und kann in der Wandlung zum wundersamen Greis nur partiell mit seinem von Peymann hier gezielt eingesetzten komödiantischen Talent verführen. Peymanns wacher Sinn fürs Dramatische zeigt sich in der die Stimmung transportierenden, neonkühl ausgeleuchteten Unwetter-Szenerie – mit Regen und Wind und über die Köpfe der Zuschauer bauschendem schwarzen Vorhang. Was vor der Pause zu langatmig gerät, wird danach mit zu häufigen Kurzszenen im Scheinwerferlicht verrechnet. Zehnminütiger Beifall, ein Buh und viele Bravorufe.

Freie Autorin

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