Interview

Sängerin Mine: Zwischen Erfolgen, Selbstfindung und vielfältiger Musik

Im Interview spricht die 38-jährige Ausnahmekünstlerin Mine über ihre musikalische Reise, die Herausforderungen des Musikgeschäfts und die persönlichen Themen, die sie in den Songs ihres neuen Albums "Baum" verarbeitet

Von 
Steffen Rüth
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Die Sängerin Mine heißt in Wirklichkeit Jasmin Stocker. © Britta Pedersen

Mine heißt eigentlich Jasmin Stocker, kommt aus dem Schwäbischen, lebt in Berlin, ist 38 Jahre alt und eine der aufregendsten Popkünstlerinnen, die wir in diesem Land haben. Mit großer Selbstverständlichkeit verbindet sie elektronischen, urbanen Indie-Pop mit Streichern und Chören, sie singt ausgesprochen lebenskluge Texte und veröffentlicht nun ihr fünftes Studioalbum „Baum“.

Mine, Sie werden seit einiger Zeit mit Auszeichnungen überhäuft. 2021 allein erhielten Sie den Deutschen Musikautorenpreis der Gema in der Kategorie „Text Chanson/ Lied“, im selben Jahr haben Sie den Preis der Popkultur in gleich zwei Sparten gewonnen. Läuft bei Ihnen, oder?

Mine: Ja, es läuft nicht schlecht (lacht). Ich fand das selbst krass mit diesen ganzen Preisen. Für mich ist das alles andere als selbstverständlich. Manchmal denke ich, dass der Pool an Künstlerinnen und Künstlern, die von denjenigen Leuten gesehen werden, die die Preise vergeben, ein bisschen zu klein ist. Oft bekommen dann eben immer dieselben Nasen die Preise, auch wenn ich natürlich den Caspers und Kraftklubs dieser Welt jeden einzelnen gönne. Aber die Kulturlandschaft hat noch so viel mehr zu bieten. Trotzdem: Ich fühle mich nach diesem langen Weg sehr geehrt und habe mich über jede einzelne Auszeichnung extrem gefreut.

Am schlimmsten ist es, wenn Musik langweilt

Auch Ihre Arbeit für Danger Dan, auf dessen Album „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ Sie die Streicher geschrieben und arrangiert haben, bekam sehr viel Aufmerksamkeit.

Mine: Das stimmt, und ich bin schier ausgerastet vor Freude, als Daniel, also Danger Dan, mich gefragt hatte, ob ich das machen möchte. Ich war schon immer ein Riesenfan seiner Band Antilopen Gang und war schon auf deren Konzerten, als die noch vor hundert Leuten spielten.

Sie leben seit Ihrem Debütalbum „Mine“, das 2014 rauskam, von der Musik. Und werden immer erfolgreicher. Haben Sie von Beginn an geglaubt, mit Ihren Songs so viele Menschen zu erreichen?

Mine: Nein. Ich dachte anfangs nicht, dass ich mit meiner Musik Geld verdienen kann. Ich bin so nach und nach in die ganze Geschichte reingewachsen und war schon 27, als meine erste Platte veröffentlicht wurde. Für eine Frau im Musikbusiness ist das schon relativ alt.

Sie hatten vorher Jazzgesang an der Hochschule für Musik in Mainz studiert und anschließend ein Masterstudium an der Popakademie in Mannheim absolviert. Wussten Sie einigermaßen, was Sie bei einer Karriere erwarten würde?

Mine: Nein, vom Geschäftlichen hatte ich nicht viel Ahnung. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, die Popmusik zum Beruf zu machen. Mein Plan war, eine Musikschule aufzumachen und als Pädagogin zu arbeiten und meine eigene Musik nur nebenher als Hobby zu betreiben. Ich dachte einfach, es würde nicht so viele Leute interessieren, was ich mache. Und zunächst war es auch so. Von den Plattenfirmen bekam ich eine Absage nach der anderen.

Die Sängerin Mine spricht über ihr neues Album im Interview. © Britta Pedersen / dpa

Mit welcher Begründung?

Mine: Ich kann mich noch an eine E-Mail von einem großen Musiklabel erinnern, in der es hieß: „Du bist weder Tocotronic noch Silbermond.“ Ja, schon richtig, aber vielen Dank, was soll ich mit so einer Aussage anfangen (lacht). Die Leute wussten nicht, in welche Schublade sie mich stecken sollten. Bestimmt wäre es für mich einfacher gewesen, wenn ich kompromissbereiter gewesen wäre gegenüber den Leuten, die in der Musikbranche arbeiten. So wussten sie am Anfang nicht, was sie mit mir anfangen sollten.

Ihr „Baum“-Album ist musikalisch und stilistisch ausgesprochen bunt und vielfältig. Es kommen Streicher, ein Knabenchor, eine Kirchenorgel, aber auch elektronische Sounds zum Einsatz.

Mine: Ich liebe und genieße es, mich wirklich auszuleben. Ursprünglich hatte ich die Idee, ein sakrales Choralbum mit weltlichen Texten zu machen, weil ich diese mächtigen Arrangements sehr cool finde. Ich höre aber auch gerne Techno und aktuelle Popmusik, ich liebe zum Beispiel Rosalia. Ich will mich nicht eingrenzen. Am Schlimmsten finde ich es, wenn Musik langweilt. Das versuche ich zu vermeiden.

Mit Erfolg. Sie schreiben und produzieren Ihre Songs selbst. Also, wo „Mine“ draufsteht, muss auch zu hundert Prozent „Mine“ drin sein?

Mine: Ja, das ist mir total wichtig. Mir macht auch die Arbeit als solche total viel Spaß. Ich liebe es, im Studio zu sein und über jedes kleine Detail auf meinen Liedern selbst zu entscheiden. Wenn ich diesen Teil meiner Arbeit abgeben würde, hätte ich wahrscheinlich gar keine Lust mehr auf den ganzen Zirkus. Ich stehe schon auch gerne auf der Bühne, aber das Schreiben der Musik ist das, was mich an meiner Arbeit am Glücklichsten macht.

Könnten Sie auf die Konzerte verzichten?

Mine: Nein, ich liebe es, Livekonzerte zu spielen. Was ich nur anstrengend finde, ist das Kommunizieren mit sehr vielen Menschen, die ich nicht kenne. Nach dem Konzert am Merchandise-Stand zu stehen, das ist harte, kraftraubende Arbeit für mich - obwohl mir die Leute ja alle sehr wohlgesonnen sind. Dieses Im-Mittelpunkt-Stehen ist für mich der schwierigste Teil meines Berufs. Meine Musik war und ist für mich der Rahmen, in dem ich mich auf eine Weise öffnen kann, wie es mir sonst gegenüber Menschen schwerfällt.

In „Ich weiß es nicht“ singen Sie, Sie hätten gern Vertrauen in die Welt, sind sich aber nicht sicher, ob Sie das wirklich aufzubringen imstande sind. Kommen Sie zurecht mit den Zweifeln und der Unentschlossenheit?

Mine: Toll ist das nicht. Ich würde gerne alles sofort wissen und nicht erst in der Retrospektive. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch, und es macht mich total sauer, dass ich nicht weiß, was passieren wird, wenn ich mal tot bin.

Sängerin Mine

  • Jasmin Stocker wuchs in Remshalden auf und nahm schon als Kind an Gesangswettbewerben teil. Sie erhielt Instrumental- und Gesangsunterricht und begann mit Anfang 20 ein Studium im Fach Jazzgesang an der Hochschule für Musik in Mainz.
  • Mit dem KünstlernamenMine“ trat sie während ihres Studiums erstmals mit eigenem Repertoire auf. 2013 startete sie eine erfolgreiche Crowdfundingaktion für ein ausverkauftes Konzert im Mannheimer Capitol, bei dem sie mit einem Kammerorchester auftrat.
  • Ihr Debütalbum „Mine“ wurde im Oktober 2014 veröffentlicht. Ihr viertes Studioalbum „Hinüber“ wurde am 30. April 2021 veröffentlicht und stieg auf Platz 13 der deutschen Charts ein.
  • Ihr neuestes Album „Baum“ erscheint am 2. Februar.

Also jetzt mit Ihnen?

Mine: Nee, nicht nur, auch überhaupt. Wie wird die Geschichte der Erde weitergehen. Ich werde es wohl nie erfahren, ob irgendwann die Sonne die Erde auffrisst, oder ob sie vielleicht schon vorher kaputtgeht. Dabei würde ich das wirklich sehr, sehr gerne wissen.

Ebenfalls in „Ich weiß es nicht“ stellen Sie infrage, ob der Tod wirklich das Ende ist.

Mine: Ich finde den Gedanken sehr heilsam, dass es eben nicht vorbei ist und wir noch irgendeine Art von Bewusstsein haben. Doch diese Idee ist mehr so ein menschliches Konstrukt, ein Klammern, und kein realistisches naturwissenschaftliches Szenario.

„Wir werden geboren, lernen zu leben, und dann sind wir tot“, singen Sie im Titelstück „Baum“.

Mine: So ist es doch!

Sehr berührend ist der Song „Staub“. Sie erzählen in dem Lied, wie Sie an dem Baum stehen, unter dem Ihre Mutter begraben liegt und sagen, wie sehr Sie sich gewünscht hätten, dass sie Ihre Kinder noch hätte kennenlernen können. Ist das Schreiben dieses Songs besonders schwer gefallen?

Mine: Der ging superschnell. In zwanzig Minuten stand das Gerüst am Klavier. Ich hatte das Gefühl, das musste mal raus. Ich hatte nie wirklich Zeit, um meine Mutter zu trauern, die Trauer war so ein dauerhaftes Hintergrundrauschen. Es tat mir gut, mir das endlich von der Seele zu schreiben.

Wieso überhaupt „Baum“? Wofür steht der Titel?

Mine: Ich mag Bäume sehr gern. Ich sehe auch die letzten drei Alben ein bisschen als Reihe an. Ich finde die Metamorphose ganz spannend von der Selbstfindung auf „Klebstoff“ über das Hadern mit der verrottenden Welt auf „Hinüber“ bis hin zum neuen Erwachen bei „Baum“. Wenn ich das Weltgeschehen außen vor lasse, fühle ich mich aktuell sehr wohl in meinem Leben. Ich bin privilegiert, ohne Nebenjobs von meiner Musik leben zu können, habe ein wunderbares Umfeld, eine schöne Wohnung und bin sehr im Reinen mit mir selbst. Das war lange Zeit nicht so, deshalb genieße ich das gerade sehr.

Sie sagen in „Spiegel“, dass Sie sich früher hässlich gefunden haben. Wie haben Sie überwunden, so hart zu sich selbst zu sein?

Mine: Durch sehr intensive Auseinandersetzung mit den Problemen und durch sehr viel verhaltenstherapeutische Arbeit. Das heißt vor allem: Gehirntraining. Man versucht einzuordnen, wer man ist und welche Strukturen nicht gut für einen sind, und dann versucht man Wege und Verhaltensweisen zu verändern. Manches geht sehr schnell, bei manchem braucht man sehr viel Geduld und Spucke (lacht).

Können Sie ein Beispiel nennen?

Mine: Der Umgang mit meinem Körper. Sehr lange war alles, was damit im Zusammenhang steht, ein sehr schwieriges Thema für mich. Auch mein Verhältnis zum Essen war lange Jahre problematisch. Es hat gedauert, bis ich gelernt habe, freundlich zu mir selbst zu sein.

Das Cover des Albums "Baum" der Sängerin Mine. Ihr fünftes Soloalbum soll am 2. Februar erscheinen. © Virgin Music Group/dpa

Ein bisschen unheimlich ist indes Ihr Albumcover. Ihnen wächst ein Baum aus dem Kopf.

Mine: Ich liebe solche krassen Bilder. Bei meinem letzten Album „Hinüber“ quoll mir ja schon so eine schimmelige Hirnmasse aus dem Kopf. Ich habe früher sehr, sehr gerne Horrorfilme geguckt, ich hatte eine ganze Regalwand voll mit DVDs. Filme wie „Pans Labyrinth“ von Guillermo del Toro finde ich phantastisch. Irgendwann wurde das aber mit den Alpträumen zu viel, und ich habe mit diesen Filmen aufgehört.

Ihre Zwillinge sind jetzt zwei. Entspricht das Leben als Mutter und Künstlerin Ihren Vorstellungen?

Mine: Es ist anstrengender als gedacht (lacht). Aber ich finde die Kombination total toll. Ich könnte nicht nur Mutter sein und mit der Musik aufhören. Ich wusste, wenn ich Kinder bekomme, dann muss ich einen Partner haben, der da mitzieht.

Und das macht er?

Mine: Ja, das macht er. Wir teilen uns alles 50:50. Bei meiner Tour jetzt demnächst kommen die beiden zum ersten Mal mit zum Konzert. Hoffentlich mögen sie meine Musik.

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