Film - Beeindruckendes Werk von Alfonso Cuarón erzählt vom Schicksal einer Haushälterin im Mexiko der 1970er Jahre / US-Konzern hofft auf einen Oscar

„Roma“ nur fürs Heimkino

Von 
Martin Schwickert
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Starke Bildsprache: Im Mittelpunkt des in Schwarz-Weiß gedrehten Films „Roma“ steht eine Hausangestellte, die für eine mexikanische Mittelschichtsfamilie arbeitet. © Netflix

Mit dem Wort sollte man vorsichtig umgehen. Aber für diesen Film kann es keine andere Bezeichnung geben: Alfonso Cuaróns „Roma“ ist ein Meisterwerk. Ein großer Glücksmoment des Kinos. Ein Film, der mit seinem ruhigen erzählerischem Atem und der konzentrierten Visualität den ganzen Saal einnimmt. Kein rauschhaftes 3D-Kino-Erlebnis, sondern ein Werk, das auf sanfte, eindringliche Weise tief berührt.

Im Zentrum des Geschehens steht nicht eine schwarzlederne Superhelden-Gestalt, sondern eine indigene jungen Frau, die in Mexiko-Stadt der 1970er Jahre als Haushälterin für eine Mittelschichtsfamilie arbeitet und von dieser ebenso ausgebeutet wie geliebt wird. „Roma“ ist Cuaróns cineastische Liebeserklärung an das Kindermädchen, das ihn großgezogen hat.

Zu Recht wurde das Werk beim Filmfestival in Venedig im vergangenen Jahr mit einem Goldenen Löwen sowie aktuell bei den Golden Globes in Los Angeles ausgezeichnet. Trotzdem war der Film in Deutschland Ende 2018 nur eine Woche lang in 38 Kinos zu sehen. Denn „Roma“ ist nicht nur ein Meisterwerk, sondern auch eine Netflix-Produktion.

Der Streaming-Dienst und das Kino stehen seit jeher auf Kriegsfuß miteinander. Online-Portale wie Netflix und Amazon-Prime haben in den letzten Jahren das Konsumverhalten der Zuschauer radikal verändert. Sie machen Filme zu einer Massenware, die rund um die Uhr mit wenigen Mausklicks bequem verfügbar ist. Darunter leiden am meisten die Kinobetreiber, die mit eklatanten Besuchereinbrüchen zu kämpfen haben.

Boykott der Kinobetreiber

Zwischen den Fronten dieses Filmkulturkampfes scheint nun mit „Roma“ der vielleicht beste Film dieses Jahres zerrieben zu werden. Ein Großteil der deutschen Kinobetreiber boykottierte nämlich Ende vergangenen Jahres die Aufführung, weil Netflix nur ein Auswertungsfenster von einer Woche angeboten hatte, bevor „Roma“ Mitte Dezember freigeschaltet und damit etwa 130 Millionen Abonnenten in mehr als 130 Ländern zugänglich gemacht wurde. Dabei kommt sich die Konzernleitung im kalifornischen Los Gatos noch großzügig vor. Denn normalerweise werden Netflix-Filme den Kinos nur zeitgleich mit dem Online-Start angeboten.

In diesem Fall rückt man von der strikten Firmenpolitik aus einem leicht durchschaubaren, strategischen Kalkül ab. Ein Film wie „Roma“ hat bei den Oscar-Verleihungen in diesem Jahr große Chancen, wofür ein Kinostart allerdings unabdingbar war. Ein Academy Award wäre für den Online-Anbieter ein ungeheurer Prestige-Gewinn, mit dem man die Zahl der Abonnements weiter zu steigern hofft.

Der Konkurrent Amazon hat es vorgemacht und konnte im Jahr 2017 für seine Produktion „Manchester By the Sea“ gleich zwei Goldjungen mit nach Hause nehmen. Aber Amazon betreibt eben auch eine deutlich weniger konfrontative Politik und respektiert das übliche Auswertungsfenster für Kinobetreiber von 120 Tagen in Deutschland und 90 Tagen in den USA.

Warum Netflix für seine ambitionierteren Arthaus-Produktionen nicht eine ähnliche Strategie der friedlichen Koexistenz fährt, ist wohl der unternehmerischen Arroganz eines Großkonzerns geschuldet, der zwar den PR-Faktor einer Oscar-Verleihung mitnehmen will, aber am Kino als filmkulturellem Ort der Begegnung keinerlei Interesse hat. Diese Politik führte schließlich zu einem absurden Ergebnis: Selbst in den USA startete der Film nur in wenigen Kinos, in Curaóns Heimatland Mexiko, für das der Film ins Oscar-Rennen gehen soll, war „Roma“ gerade einmal in drei Städten auf der Leinwand zu sehen.

Aus cineastischer Sicht ist das eine Tragödie. Denn „Roma“ dürfte wohl zu den ganz wenigen Filmen gehören, die jene ungeteilte Aufmerksamkeit, wie sie sich eben nur im Kinosaal herstellen lässt, verdient haben. Cuarón hat seinen Film im 65-Millimeter-Format und hoch auflösendem Schwarz-Weiß gedreht, das genauso wie der perfekte Dolby-Atmos-Sound eine fast haptische Räumlichkeit entwickelt. Cuarón stellt sein beträchtliches handwerkliches Können ganz in den Dienst der intimen Nähe, die er zu seiner Hauptfigur herstellen will. Die stille Kraft dieses Films wird sich im Heimkino nie vollständig vermitteln lassen.

Netflix-Film

  • Der Film „Roma“ wurde am vergangenen Wochenende mit einem Golden Globe ausgezeichnet.
  • Das „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck ging dagegen leer aus.
  • „Roma“ ist eine Netflix-Produktion – und war deshalb Ende vergangenen Jahres nur wenige Tage in ausgewählten Kinos in Deutschland und anderen Ländern zu sehen. Der Streaming-Dienst selbst hat den Film Mitte Dezember in sein Programm aufgenommen.

Korrespondent

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