Ludwigshafen. Als wollten sie einen überfallen und mit ihren effektvollen Mitteln gefangen nehmen, beginnen alle drei Stücke des renommierten US-Choreographen Richard Siegal unmittelbar. „All for One“ bildet den Auftakt und wandelt die große Bühne im Theater im Pfalzbau in eine kunstvolle Club-Landschaft. Wobei die Atmosphäre der dynamischen Sound-Gestaltung von Markus Popp geschuldet ist, seinen elektronischen Klangmustern, die er mit schnellen Rhythmen unterlegt.
Dagegen setzt die übergroße Installation aus Lichterstäben – sie deuten einen zur Spirale geöffneten Bogen an – eher auf eine extravagante Architektur. Dazu zeigen sich die Tänzer vom Richard Siegal /Ballet of Difference in auffälligen schwarz-weiß und metallisch schimmernden Kostümen von Flora Miranda, die ihre Einordnung zu verweigern scheinen. Sie erinnern an die futuristischen Harlekine eines neuartigen Triadischen Balletts nach Oskar Schlemmer; und umgekehrt sparen sie bald am Material, werden zum Fetisch, der viel Haut sehen lässt.
Hybride Konstellationen
Klar zu entschlüsselnde Narrative, Settings oder Gesten sind nicht Siegals Sache. Seine Arbeiten leben von genial hybriden Konstellationen, die sich auf das gesamte Arrangement seiner Kunst beziehen. So basiert der Tanz in allen drei Stücken auf klassischem Ballett, das in alle erdenkliche Stilrichtungen aufgesprengt wird. In den rasanten Bewegungssequenzen folgt das Tanzvokabular des Ensembles dem einheizenden Sound und Beat. Dabei tauchen die klassischen Linien – Arabesquen, Pirouetten, Armpositionen und Spitzentanz – auf wie in einem Teppichgewebe, das seine Muster ineinanderlaufen lässt.
Eine elegante Arm- oder Beinführung wird im nächsten Moment überdehnt oder unterbrochen. Immer wird der eine klassische Stil wie durch ein Dazwischenreden von anderen Sprachen überlagert. Ein Stil-Mix aus Ballett-Pop-Welttanz-Kultur, der von den Tanzpersönlichkeiten des Ballet of Difference lebt.
Seit 2016 arbeitet Siegal mit seiner Kompanie den Gegenentwurf im Ballett aus. Inzwischen ist der preisgekrönte Choreograph am Theater/Schauspiel Köln ansässig. Er hat beim weltberühmten William Forsythe am Ballett Frankfurt getanzt. Auch diese Prägung blitzt in seinen Werken durch. Ähnlich wie Forsythe, der das Ballett mit zeitgenössischen Raumkoordinaten durchkreuzt und erweitert hat, erneuert auch Siegal seine Formensprache.
In „Metric Dozen“ kombiniert Siegal Ballett mit Voguing. Eine homosexuell geprägte Community in Harlem hatte in den 1970er Jahren die Posen der Mode-Branche in einen Tanzstil verwandelt. Hier wird er in ein schillerndes narzisstisches Spiel um Sein und Schein gewandelt.
„My Generation“ bildet als Triple den Abschluss mit Kostümen in orange, gelb und blau, die mit Licht und Nebel korrespondieren. Wieder könnte es sich um Sport-Trikots, Kostüme oder die erfinderische Kleidung einer jungen Club-Generation handeln. Aber wen kümmert die Zuordnung? Im Elektrosound von Uwe Schmidt (Atom) wächst die Stimmung zum Spektakel mit viel tänzerischem Sex-Appeal.
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