Ein Lehrer, eine Schülerin, ein Schulgutachter: Es ist die mangelnde Wertschätzung durch ihre Pädagogen, die Schüler nicht selten in Wut oder Verzweiflung treibt. Der Gymnasiallehrer Immanuel Mauss ist da eine der beliebten Ausnahmen. Seine Schüler lieben ihn wegen seiner neuen Form des Unterrichts. Im Musikunterricht vor dem Abitur lernen sie Songs für eine Band komponieren. Zum Beispiel Folkmusik mit Gitarre und Flöte, Geige, Akkordeon und mehrstimmigem Gesang. Selbst wie sie ihre Musik vermarkten können, vermittelt ihnen der Lehrer.
Doch der alternde Idealist und Querdenker Mauss verspürt keinerlei Rückhalt bei der Schulleitung für seinen besonderen Einsatz, wird bald voller Enttäuschung den Dienst quittieren. Jan Böttcher erzählt in seinem Roman am Beispiel eines Lehrers, einer Schülerin und eines Schulgutachters über den "Kosmos Schule". Aufmerksam registriert er biografische Brüche einer Lehrerexistenz, fehlende Achtsamkeit der Eltern für ihre Kinder, aber auch der Kollegen untereinander. Und es sind auch die Väter und Mütter, die den Lehrern durch Mobbing zusetzen.
Böttcher, geboren 1973 in Lüneburg, studierte deutsche und skandinavische Literatur und arbeitet seit 1993 als Schriftsteller und Musiker in Berlin. Er erhielt den Ernst-Willner-Preis beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb. Für seinen Roman hat er einen ruhigen Rhythmus gefunden, der unsere Geduld mitunter herausfordert. Dennoch berührt uns der Text, weil Böttcher einfühlsam fragwürdige Entwicklungen an den Schulen unserer Tage beobachtet hat. Neben dem Lehrer Mauss ist die Schülerin Clarissa eine der Hauptfiguren des Romans. Seitdem ihre Klassenkameradin Suizid verübte, scheint Clarissa in Trauer gefangen. Sie besucht Mauss regelmäßig in seinem alten Bauernhaus. Auch ihre Mitschüler finden sich dort zu einem Trauercamp ein. Doch Clarissa hat plötzlich eine Liaison - ausgerechnet mit dem Schulgutachter. Der schläft mit ihr, obwohl es seine Aufgabe ist, nach dem Suizid Informationen einzuholen über die Atmosphäre in der Schule. Böttchers Kritik ist auf privat finanzierte Schulen gemünzt. So bezahlt an dieser Schule ein privater Sponsor die Gehälter der Lehrer mit - und lässt erst einmal die Hälfte der Pädagogen kündigen. Selbst der scheinbar unabhängige Schulgutachter unterliegt dem Wohlwollen des Sponsors.
Der Roman bietet atmosphärisch dichte Szenen - wie in Clarissas Tagebuchaufzeichnungen eines Internetblogs: Da drückt sie ihre Trauer, ihre Liebe für die Musik und für die Natur aus. Doch der nüchterne Stil, der zur Umgangssprache tendiert, ist widerständig. Die Geschichten zeigen uns falsche Denkhaltungen der Figuren und - wie bei Mauss - deren assoziative Reflexionen mittels einer punktuell deformierten Sprache. Der Roman liefert fraglos einen realistischen und niemals gekünstelt wirkenden Befund über die Enttäuschungen und menschlichen Verletzungen unserer Tage.
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