Konzert

Pussy Riot zeigt wütendenden Widerstand im Karlstorbahnhof

Worte können das Konzert von Pussy Riots kaum in Worte fassen. Was die vier unerschrockenen Frauen auf der Bühne im Heidelberger Karlstorbahnhof demonstrieren, ist wütender Protest gegen Putins Herrschaft in Rußland

Von 
Raimund Frings
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Pussy Riot demonstrieren mit harten Tönen gegen Putin. © Ruffler

Heidelberg. Performance, Konzert, Kundgebung: Die Worte sind zu starr, um wiederzugeben, was sich auf der Bühne des Heidelberger Karlstorbahnhofs abspielt. Vier unerschrockene Frauen, mit Stimmen, die physisch alles geben, wütend geschriene Texte, körperlich maximal präsent, trocken-punkige Bässe und knallharte Drums, eine quietschende Querflöte, die Choreographie rowdyhaft und jenseits aller gewohnten Ästhetik. Das Publikum erstarrt vor Staunen. Und Grauen.

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Auf der Leinwand flackern schnell geschnittene Dokumentar-Videos, darüber, darunter, zwischendrin die Übersetzungen der deklamierten Texte. Die Geschichte handelt von dumpfer russischer Gewalt unter Putins Herrschaft, von Scheinprozessen und von Scheinheiligkeit. Kein Platz, die Hüften im Rhythmus zu wiegen. Unfassbar, was Frontfrau Maria Aljoschina da erzählt. Niedergeschrieben hat es die 34-Jährige 2016 unter dem Titel „Riot Days“. Ein Selbstläufer die weltweite Tournee, noch einmal forciert mit dem Beginn des traumatischen Überfalls auf die Ukraine.

Die „Riot Days“ erzählen vom März 2012, der Gruppenaktion in der Moskauer Erlöserkirche, den fingierten Gerichtsverhandlungen, dem Gefängnisaufenthalt dreier Protagonistinnen, darunter Maria Aljoschina, die ihren Alptraum selbstbewusst in Worte gepackt hat: „Wir sind verpflichtet, Russland zu ändern“. Die Zielrichtung geht immer in Richtung des russischen Staatsoberhaupts und dessen brutalen allumfassenden Kampf gegen die Meinungsfreiheit. Maria proklamiert, springt auf und ab, führt mit Wut im Bauch den Saal. Hinter den Musikerinnen, die ihre wollenen Sturmhauben aufziehen, ein Tisch mit fünf Dutzend Wasserflaschen, aus denen sie sich gierig bedienen.

Luft schnappen, applaudieren? Keine Zeit, Pussy Riot hält nicht inne. Die Videos zimmern flackernde Bilder in die Köpfe. Die Rhythmen, von Drummerin Diana Burkot unter vollem Körpereinsatz gehämmert, setzen den Saal unter Strom. Beachtenswert Querflötistin Tasso Pletner, die stets in voller Bewegung ihr Instrument als rasch atmende Waffe benutzt. Daneben die lustvoll kämpferische Olga Borisova, mit schwarzer Lederjacke, mit guter Singstimme. Eine raumeinnehmende Performance, der sich keiner entziehen kann. Aus dem Nichts läuft Borisova mit einer Flasche nach vorn, schüttet das Wasser weitausholend ins Publikum. Eine nach der anderen, zehn oder zwölf Flaschen sind es. Eine raue Segnung. Macht mit, helft uns. „Es gibt keine Freiheit, wenn ihr nicht dafür kämpft“, schreien Mascha und Olga.

Dann nach etwa einer Stunde doch eine kurze Zäsur, die Bühne wird in rotes Licht getaucht, die Rhythmen werden langsamer, was aber genauso unter die Haut fährt. Nun geht es um die Bomben auf Mariupol, das Grauen von Butscha, die politischen Gefangenen. Keine Beschönigung, der Krieg ist längst nicht vorbei, erschrockene Gesichter. Keine Selbstvergewisserung in scheinbar moralischer Überlegenheit. Geradezu bescheiden verabschieden sich Pussy Riot: „Ukraine I love you“ und dem bewegenden Gruß „Slawa Ukrajini“ (Ruhm der Ukraine). Erschöpft verlassen die Besucher den Saal. Das ist wütender Widerstand.

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