Heidelberg. Pit Baumgartner, Feder- und Regler-führendes Mastermind der 1997 in Heidelberg gegründeten Formation De-Phazz veröffentlicht ein neues Album: „De-Phazz pres. Pit Sounds“ heißt die neue Platte des auch als „Godfathers of Lounge“ bekannten Kollektivs, dessen angenehm eingängig groovende elektronisch-organische Musik in Verlauf der vergangenen 25 Jahre bis in die entlegensten Winkel der Welt vorgedrungen ist. Diesmal hat der in Ladenburg lebende Produzent indes nicht mit einigen seiner langjährigen musikalischen Weggefährten wie den Sängerinnen Pat Appleton, Barbara Lahr oder Sänger Karl Frierson zusammengearbeitet. Welche Rolle stattdessen die symbolischen Scheren spielen, mit denen er auf der Rückseite der CD zu sehen ist, wie kunstvoll das Kopieren sein kann und welche Preziosen man auf einem Wertstoffhof finden kann – darüber sprachen wir mit Baumgartner in diesem Interview.
Herr Baumgartner, beim ersten Hören der neuen Platte dachte ich: Die ist fast ein bisschen subtiler als die anderen. Beim zweiten Mal: Da steckt ja noch mehr drin als vorher, ungemein viele unter der Oberfläche verbundene Elemente...
Pit Baumgartner: Das ist auch, ehrlich gesagt, nicht unbeabsichtigt. Ich habe mich auf meine alten Tage besonnen, zu gucken, wo meine Kernkompetenz ist: Musikalisches Mosaik vom Dachboden bzw. Hommage an Verstaubtes; das ist die Idee dahinter.
„Pit Baumgartner, kreativer Kopf von De-Phazz präsentiert mit ‘Pit Sounds’ sein Opus Magnum“ heißt es in der Presseinfo zum Album. Es ist das ultimative Werk Ihres über 25 Jahre umspannenden De-Phazz-Schaffens?
Baumgartner: Musikproduktion geht mit ständigem Wandel einher; die Technik wird besser und das Spielfeld größer. In meinem Fall bedeutet das: noch mehr Fokus auf Collage, allerdings auf der Grundlage von „Human Intelligence“, also selbst geschnitten. Ein gutes Beispiel, vielleicht nicht ganz ernst gemeint: Der sehr geschätzte Kollege Matthew Herbert aus England (Musiker, Komponist und Produzent, d. Red.) sagte mal, „Ich lege Wert darauf, dass jeder Ton auf dieser Platte von mir ist.“ Auf mich bezogen würde ich sagen: „Mein Ideal wäre, wenn kein Ton auf dieser Platte von mir wäre, sondern alles Ausrisse oder Schnipsel alter Sachen sind.“ Nachhaltigkeit als Kunst (lacht). In meinen neuen Arbeiten, da geht das noch weiter, alles zusammen backen, dass es homogen wirkt, aber offensichtlich eine Toncollage ist.
Was ist das jetzt? Das ist jetzt aber nicht cool! Oder doch?
Der Albumtitel „Pit Sounds“ erinnert einen natürlich an „Pet Sounds“, das Meisterwerk der Beach Boys. Kein Zufall, oder?
Baumgartner: Da ritt mich der Schalk (lacht). Es ist ja auch naheliegend: Ich heiße Pit und ich kokettiere mit Kopien und Zitaten. Das findet sich auch in der visuellen Umsetzung wieder.
Sie rücken sich damit zugleich selber ein bisschen in den Vordergrund, könnte man sagen ...
Baumgartner: Wir hatten ja über 25 Jahre die lieben Kollegen alle mal „gefeatured“, jetzt schreibe ich halt mal „Pit Baumgartner“ drauf, man möge es mir verzeihen (lacht).
Da ist dieser tolle Big-Beat- Tröten-Groove über einer gewissen Wagnerhaftigkeit bei „Guru Bamboolo“, der grandiose Männerchor bei „Eldorado Flashback“ oder die Morricone- artigen Chor-Streicher-Arrangements beim „Fellini Score“. Es ist ein bisschen wie in einem Wimmelbild, oder wie würden Sie es beschreiben?
Baumgartner: Da kann ich mitgehen, man entdeckt immer irgendwas. Gerade „Eldorado Flashback“ mit den Cowboy-Chören ist eines meiner Lieblingsstücke, weil da ein „Point of Irritation“ ist. Bitte was? Was ist das jetzt? Das ist jetzt aber nicht cool! Oder doch? Und so was finde ich am besten - wenn das musikalische Gehirn mal kurz die Orientierung verliert.
Zum Thema Suchen und Finden: Wie gehen Sie da vor? Haben Sie eine riesige Plattensammlung, die Sie durchstöbern?
Baumgartner: Gerade wieder gestern war ich auf dem Wertstoffhof, und da hole ich meine Musik praktisch her. Da liegen wunderbare Sachen rum, je nachdem, wer gerade umgezogen oder ausgewandert ist. Da hole ich meinen Stoff für 50 Cent die Platte. Ich habe da schon richtige Meilensteine entdeckt, wo du denkst, wow, was alles auf Platte gepresst wurde, das ist unglaublich! Dann wird einfach mal durchgesampelt, ohne Rücksicht auf Verluste, und dann abgeheftet. Und irgendwann bin ich bei einem Song an dem Punkt, wo ich denke, „Jetzt müsste mal was passieren“ (lacht). Dann geh ich in dieses Archiv und schürfe, schraube, quetsche, dehne. Es ist schwer zu beschreiben, weil das ist dann der Moment, wo der Künstler bei sich ist. Das sind Dinge, die kann man nicht erklären, die macht jeder anders. Es ist wahrscheinlich tierisch langweilig, wenn man nebendran sitzt.
Musikkollektiv De-Phazz - gegründet in Heidelberg
Das Musikkollektiv De-Phazz – kurz für „Destination Future Jazz“ – wurde 1997 von Produzent Pit Baumgartner in Heidelberg gegründet. Noch im selben Jahr erschien das Debütalbum „Detunized Gravity“. Ihr international erfolgreicher, elektronisch-organischer Mix aus Dub, Jazz, Soul, Trip-Hop und Latin-Klängen sollte der Gruppe im Folgenden den Ehrennamen „Godfathers of Lounge“ eintragen.
„De-Phazz pres. Pit Sounds“, das 19. Studioalbum des Kollektivs, wurde von Baumgartner produziert und von Bernd Windisch gemixt. Mitwirkende Musikerinnen und Musiker waren Oli Rubow, Marcus Bartelt, Ulf Kleiner, Joo Kraus, Jan Fride, Constanze Backes, Stephan Zobeley, Adax Dörsam und Maria Karch.
Es wird am 28. März auf dem Label Phazz-a-delic veröffentlicht. Der Langspieler erscheint auf den gängigen Streamingplattformen sowie als CD und auf Vinyl.
Das Album kann hier bestellt werden: https://orcd.co/pitsounds.
Weitere Infos gibt es unter www.dephazz.com mav
Ihre Musik ist sehr assoziativ, geradezu cineastisch. Was waren für Sie wichtige prägende künstlerische Einflüsse?
Baumgartner: Im Grunde mache ich das, was Holger Czukay in den 70ern gemacht hat – nur damals halt noch mit Tonbändern und viel aufwendiger und viel rudimentärer. Dann habe ich Ursprünge in so schräger Musik wie Pere Ubu und David Thomas – so Punk-Sachen. Gerade habe mir auch wieder eine Disko-Playlist zusammengestellt. Schwer zu sagen, wenn man mich aufsägen und die Jahresringe sehen würde, dann würde man es vielleicht erkennen. Was sich durchzieht, ist aber immer dieses Zusammenbringen, was nicht zusammengehört. Oder der Überbegriff ist immer „verträglich, loungig und eingängig“, also unaufgeregt, sag ich mal. Ich versuche, mein Publikum zu bedienen und mich in es hineinzuversetzen. Wann höre ich Musik? Wie höre ich eine Platte? Kann ich die Dinge durchhören? Das ist eh selten genug in unserer Zeit. Ich sehe ja auch ganz deutlich, wer und wie alt mein Publikum ist und wo meine Musik am meisten gehört wird …sehr aufschlussreich.
Das neue Album erscheint eben erst, aber Sie haben angesprochen, dass Sie schon wieder an anderen Sachen arbeiten?
Baumgartner: Ich bin gerade dabei, den ganzen De-Phazz Back-Katalog in die digitale Welt zu übertragen. Zum Beispiel die ganzen Videos, die wir früher gemacht haben, für das Medium Smartphone aufzubereiten. Außerdem planen wir eine Produktion mit allen Schlagzeugern, die über die Jahre bei De-Phazz mitwirkten. Schätze, man kann die Platte dann kaum überhören.
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