Irgendwann im Vorschulalter lernen Kinder, dass Zeichentrickwelten in Wirklichkeit nicht existieren. Das heißt aber nicht, dass die Bilder wirkungslos bleiben: Wenn sich Kinder mit einer Figur identifizieren, spielt es keine Rolle, ob sie gezeichnet oder real ist. Weil Trickserien also großen Einfluss auf die kindliche Identitätsentwicklung haben können, übt Medienwissenschaftlerin Maya Götz harsche Kritik an der "hypersexualisierten" Gestaltung der weiblichen Figuren. Im Rahmen einer Studie der Universität Rostock sind 327 Zeichentrickprotagonisten der Kindersender Kika, Super RTL, Disney Channel und Nickelodeon untersucht worden. Über 50 Prozent der weiblichen Figuren hätten dank "Wespentaillen und Sanduhrfiguren" Körpermaße, die "nicht länger im anatomisch möglichen Bereich liegen." Figuren mit Übergewicht gebe es gar nicht.
Basis für die Messungen war der sogenannte Taille-Hüfte-Quotient, kurz WHR (waist to hip ratio); dabei wird der Umfang der Hüfte durch den Umfang der Taille geteilt. Am attraktivsten gilt bei Erwachsenen ein WHR von 0,7; anatomisch "normal" ist 0,8. Im deutschen Kinderfernsehen liege über die Hälfte der Protagonistinnen deutlich unter diesem Wert. Die Meerjungfrau Marina aus der Super-RTL-Serie "Zig & Sharko" weist mit 0,2 den niedrigsten Wert auf. Wem das zu abstrakt ist, muss sich nur die Biene Maja anschauen. Als sie 1976 erstmals über die Bildschirme flog, war sie ein rundlicher Brummer mit Pausbacken. Knapp vierzig Jahre später gab es eine neue Version, diesmal am Computer entstanden - und schlank.
Ausgeprägte Weiblichkeit
Alles nur Fantasie? Super-RTL-Geschäftsführer Claude Schmit sagt über Meerjungfrau Marina, sie sei als "Kunstfigur überzeichnet, was auf sämtliche Figuren der Serie zutrifft. Ihre ausgeprägte Weiblichkeit ist inhaltlich entscheidend, denn sie tritt als starker und gewitzter Charakter in Erscheinung." Maya Götz lässt das nicht gelten. Die Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Zugend- und Bildungsfernsehen (IZI) ist beim Themenkomplex "Wirkung von Fernsehen auf Kinder" hierzulande die Koryphäe schlechthin. Sie erläutert, welche Folgen es haben kann, wenn Mädchen mit dem Bild unerreichbar schlanker Körper aufwachsen: "Sie verinnerlichen dieses Bild und gehen davon aus, sie würden bald so aussehen. Spätestens mit Beginn der Pubertät sind damit eine Beschämung und ein Verlust des Selbstwertes verbunden, was bis in die Identitätskrise führen kann."
Nach Ansicht der Wissenschaftlerin handele es sich bei den weiblichen Zeichentrickfiguren um die "erotischen Fantasien und Wünsche von erwachsenen Männern." Götz wollte wissen, was die Zielgruppe von den hypersexualisierten Darstellungen hält, und hat 842 Kindern verschiedene Versionen der Titelfigur aus "Mia and me" vorgelegt.
Die Heldin dieser Serie (ZDF/Kika) kann mithilfe eines magischen Armreifs aus der Realität in die Elfenwelt wechseln; die Abenteuer, die sie dort erlebt, sind gezeichnet. Die "echte" Mia ist eine schlanke junge Frau mit einem WHR von 0,8; als animierte Elfe im sexy Minikleid liegt ihr Wert bei 0,53. Diese Version gefiel den befragten Kindern jedoch am wenigsten; gerade die Mädchen bevorzugten eine gezeichnete Mia mit deutlich breiterer Taille. In einer zweiten Untersuchung hat Götz die Kinder gefragt, was sie an den Protagonistinnen aus den Trickserien am meisten stört: Jungs finden es doof, dass die weiblichen Figuren viel zu oft "tussige Prinzessinnen" sind, die immer gerettet werden müssen; die Mädchen ärgern sich darüber, dass die Zeichentrickheldinnen stets viel zu dünn sind und männliche Figuren immer die Hauptrolle spielen.
Tradiertes Frauenbild
Tatsächlich hat eine Untersuchung der Uni Rostock ergeben, dass 77 Prozent der Hauptfiguren männlichen Geschlechts sind. Die Verantwortlichen von "Mia and me" wollen die Kritik an ihrer Serie relativieren. Für die Elfe habe es verschiedene Entwürfe mit unterschiedlichen Körperformen gegeben, die dann bei Kindern getestet worden seien. Anders als bei der Untersuchung von Götz hätten sich die Kinder "eindeutig für die zierliche Elfe" entschieden: "möglicherweise, weil in tradierten Illustrationen Elfen immer zierlich und schlank dargestellt werden." Beim ZDF, versichert Irene Wellershoff, Leiterin der Abteilung Fiktion im Kinderfernsehen, sei man überzeugt, "dass Charakterzeichnung und Handlungskompetenz prägender für die Identifikation mit Mia sind als das Design", zumal die Serie nicht Anspruch erhebe, "Abbildung der Wirklichkeit zu sein."
Zur Studie
Die Ergebnisse der Studien werden am 28. November im Rahmen der vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI, München) organisierten Tagung "Starke Mädchen - starke Jungen?" vorgestellt.
Im Verlauf der Veranstaltung werden auch Vertreter der deutschen Kindersender über ihr Mädchen- und Jungenbild informieren.
Die Teilnahme ist kostenlos. Weitere Informationen: www.izi.de. Der Kinderkanal wiederholt "Mia and me" ab 27. November montags bis freitags um 15.25 Uhr. tpg
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