Der Mensch als selbstbestimmtes Individuum, sehr individuell, gleichzeitig alles bestimmend und verändernd und deshalb auch zerstörend, ist diese Betrachtungsweise eigentlich richtig? Sind wir eigentlich nicht immer sehr viele und sind wir nicht zusammengesetzt aus vielen Mikroorganismen, die uns bevölkern?
Die These zu dieser Ausstellung von Julia Katharina Thiemann lautet deshalb, dass wir komplexe Metaorganismen, Ökosysteme sind wie ein Korallenriff. Dieser Frage gehen sieben internationale Künstlerinnen und Künstler nach, nämlich Arjan Brentjes, Imayna Caceres, Alicia Frankovich, Dominique Koch, Pei-Ying Lin, Theresa Schubert, Sasa Spacal und Emma Wilson. Ihre Ergebnisse könnten unterschiedlicher nicht sein, überzeugen nicht nur wissenschaftlich, sondern auch ästhetisch wie humorvoll.
Im Erdgeschoss der Rudolf-Scharpf-Galerie sehen wir den Film „Sad Beauty“ von Arjan Brentjes (geboren 1971), der auf traurige und humorvolle Weise die vergangene Pandemie behandelt, die deutlich gemacht hat, dass wir nicht alles im Griff haben... Im ersten Stock konfrontiert uns Sasa Spacal (geboren 1978 in Slowenien) mit Blut, Schweiß und Tränen (aus der Rede von Winston Churchill), aber leibhaftig mit unseren körperlichen Ausscheidungen, die sie in Petrischalen gesammelt hat, aber zudem mit dem Pilz Hericium erinaceus versetzt.
Poesie aus Petrischalen
Auf deutsch heißt das Wundermittel Löwenmähne oder Affenkopfpilz, sie lässt es wachsen und beobachtet es mikroskopisch. Diese hochtechnische Operation erschient uns zugleich poetisch und ästhetisch! Um die Ecke hat Dominique Koch (geboren 1983 in Luzern) eine eher nüchterne Arbeit namens „Holobiont Society“ aus blauer Neonschrift installiert, die sie mit dem „Gesamtlebewesen“, das wir alle sind, eine ökologische Einheit in der Welt bilden lässt. Den Begriff Holobiont hat 1991 Biologin Lynn Margulis geprägt, um die es immer wieder in der Ausstellung geht. Korallen und anderen symbiotischen Organismen gehen eine kompositorische Symbiose mit anderen Elementen der Ausstellung ein. Von Alicia Frankovich (geboren 1980 in Neuseeland) stammt eine ästhetische Wandarbeit, die sich mit unterschiedlichen Genen in unseren Körpern beschäftigen: Denn über Bluttransfusionen oder Schwangerschaft kommt es zur Vermischung verschiedenster Gene in uns.
Was bestimmt eigentlich unsere hochgepriesene Identität? Eher problematisch ist das Virenkochbuch „Virophilia“ von Pei-Ying Lin (geboren 1986 in Taiwan, lebt in Eindhoven), das prospektiv im Jahr 2068 geschrieben wurde und heftige Begegnungen mit einigen der 6 000 bekannten Viren enthält. Von Spasal stammt noch eine weitere Arbeit zum Thema Tränen, die sehr poetisch und kunstvoll die Trauer paraphrasiert. Große Empfehlung!
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