Ludwigshafen. Aus der Magie dieses Schlussbildes muss man sich erst einmal lösen. Als die beiden Tänzer, hintereinanderstehend, die Arme weit ausgebreitet, mit majestätischen Schwingen wie zwei große schwarze Vögel in die Nacht geflogen sind, ist es kurz ganz still im Saal der ausverkauften kleinen Bühne im Theater im Pfalzbau.
Dann setzt der Applaus ein, verhalten zunächst, doch bald begleitet von Jubel und Trampeln. Das Publikum ist begeistert von dem gerade Erlebten, von der Intimität der Gedanken und Gefühle, an denen Choreograf Peter Chu und sein Tanzpartner Roger Van der Poel es höchst intensive 60 Minuten lang haben teilhaben lassen. „Shift“, entwickelt als Co-Produktion mit den Festspielen Ludwigshafen, setzt sich zusammen aus zwei in Bildsprache und Bewegungsvokabular korrespondierenden Teilen. Dass die beiden Künstler Pfalzbau-Intendant Tilman Gersch um eine Pause dazwischen gebeten haben, mag man als Zuschauer leise bedauern, es wird aber verständlich angesichts der körperlichen und immer wieder auch akrobatischen Anstrengung, die sie sich abverlangen.
Eleganter Tanz oder Kampfsportritual?
Das Tanzerlebnis beginnt mit „take-off“, einer Erzählung über die Rastlosigkeit des Tänzerlebens. Der US-Amerikaner Peter Chu, früherer Kunstturner, Absolvent der New Yorker Juilliard School und international erfolgreicher Choreograf, unter anderem für seine eigene Compagnie „chuthis“, dreht sich fast nackt immer wieder über die Längsachse seines Körpers. Während Roger Van der Poel, portugiesisch-niederländischer Herkunft und 14 Jahre lang Ensemblemitglied des Nederlands Dans Theaters, von links auf die Bühne kriecht, kommen ihm wie an der Schnur gezogen beider Kostüme entgegen. Sie schlüpfen in dunkle Hosen und schlichte Oberteile und beginnen einen Tanz - oder ist es ein asiatisches Kampfsportritual?
Elemente des Jazz- und Streetdance lässt Chu ebenso in seine Choreografien einfließen wie Bewegungsrhythmen des Qigong oder Tai Chi. In meditativen Momenten halten die Tänzer auf zwei Stühlen inne, atmen, sinnieren, um anschließend weiterzugleiten durch Raum und Zeit, während der von Djeff Houle gewebte Soundteppich akustische Assoziationen von Autobahnverkehr, vorbeifahrenden Zügen und der Künstlichkeit von Stimmen aus dem Navigationsgerät weckt - das Leben als niemals endende Reise voller Ungewissheiten und Überraschungen, die es anzunehmen gilt.
Dialog von berührender Intimität
Wiederkehrendes Motiv des zweiten Stücks „Conscious Shift“ ist die Qigong-Bewegungsübung „Der Kranich“, aus der heraus die in nahezu perfekter Harmonie und Synchronität agierenden Tänzer ihr erstes gemeinsames abendfüllendes Programm entwickelt haben. Das Lichtdesign von Lisette van der Linden lässt, untermalt von Streichern und Meeresrauschen, Wellen über die Bühne tosen. Mal ganz in sich selbst versunken, mal als Duo sich hebend, tragend und beschützend, treten hier zwei unterschiedliche Kulturen in einen Dialog von berührender Intimität - Chu in sich bauschende schwarze Folie gehüllt, Van der Poel in einer Art Brautkleid aus transparentem Plastik. Der Tanz der Kraniche endet im gemeinsamen Flug in die Nacht. Die Reise ins Unbekannte, sie geht weiter.
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