Das Wichtigste in Kürze
- Der Sound-Architekt Paul Kalkbrenner begeistert das Publikum im Mannheimer Schloss. - Seine Musik kombiniert Präzision, Groove und meditative Momente. - Der Auftritt überzeugt durch musikalisches Handwerk und emotionale Höhepunkte.
Mannheim. Paul Kalkbrenner ist kein DJ im klassischen Sinne. Er ist ein Architekt von elektronischen Sounds. Er ist ein Taktgeber. Er ist ein Minimalist, dessen Musik maximale Wirkung entfaltet. Spätestens seit seinem Auftritt im Film „Berlin Calling“ (2008), in dem er einen Berliner Techno-Produzenten verkörpert, ist der gebürtige Leipziger weit über die Clubszene hinaus bekannt.
Denn er trifft mit seinen Produktionen einen Nerv: Kalkbrenners Musik verzichtet auf schwülstige Dramatik oder theatralisches Pathos – sie lebt von Stringenz, Groove und einem meditativen Gespür für Timing. Wenn Kalkbrenner live spielt, produziert er nichts vor – er lebt im Moment. Seine Tracks setzt er neu zusammen und moduliert sie. Und genau das zeigte er auch bei seinem Konzert am vergangenen Samstagabend im Ehrenhof des Mannheimer Schlosses – und das konzentriert, detailverliebt und kraftvoll.
Paul Kalkbrenner am Mannheimer Schloss: Ein musikalischer Auftakt voller strukturierter Energie
Zwei Minuten vor 20 Uhr steht er hinter seinem großen Mischpult. Zur Begrüßung sagt er kein Wort. Stattdessen lässt Kalkbrenner seine Musik sprechen: Ein flirrendes Synth-Riff zuckt über den Platz. Eine drückende Kickdrum, fein dosiert und präzise geschichtet, gesellt sich hinzu – „Part Four“ eröffnet das Set. Schon hier wird deutlich, was seine Musik ausmacht: strukturierte Energie, gemischt aus wenigen, dafür wirkungsvoll eingesetzten Sounds. Der Klang entwickelt sich nicht explosionsartig, er gleitet in Wellen – fließend, swingend, kontrolliert.
Das Publikum, das sich aus Fans unterschiedlichster Generationen zusammensetzt, ist von Beginn an in Bewegung. Viele tragen schwarze Shirts, einige Deutschlandtrikots mit „Kalkbrenner“ auf dem Rücken – eine Hommage an Pauls Liebe zum Fußball. Die Stimmung ist offen, ausgelassen, feierwütig.
K-Paul kann auch ohne Lexy im Vorprogramm den Takt vorgeben
Bereits beim Warm-up hat der Berliner DJ K-Paul – bekannt durch das Duo „Lexy & K-Paul“ – mit klarem Gespür für Atmosphäre den Takt vorgegeben. Er beginnt zwei Stunden vor Kalkbrenner mit dem melancholisch schwebenden „Territory“ von The Blaze, lässt tiefe Basslinien folgen und wechselt später in Trance-artige Rhythmen – unter anderem mit dem Klassiker „Age Of Love“. Ein Foto auf dem Screen hinter ihm zeigt ihn Arm in Arm mit Kalkbrenner, beide im Sparta-Lichtenberg-Trikot.
Kalkbrenner übernimmt diesen musikalischen Impuls dann – und transformiert ihn. Mit Leidenschaft filtert er Details aus seinen eigenen Produktionen heraus, überlagert verschiedene Loops, kreiert damit neue Layer, verändert Klangfarben je nach Belieben. Der Track „Graf Zahl“ ist dafür exemplarisch: Ein lässiger Hi-Hat-Groove zischt aus den Boxen, darüber zählt eine Roboterstimme: „Eins, zwei, drei, vier“. Sie klingt stark verfremdet, durch einen Vocoder gezogen. Der Track erinnert an Kraftwerks algorithmische Coolness – und damit an den Track „Nummern“.
Zur Person
- Musikalische Anfänge: Paul Kalkbrenner wurde 1977 in Leipzig als Sohn zweier Journalisten geboren, wuchs in Berlin-Lichtenberg auf und fand in den frühen 1990er-Jahren über Trompete, Musiktheorie und Technokünstler wie Basic Channel seinen Weg zur elektronischen Musik.
- Erstes Album: Sein erstes Album „Superimpose“ veröffentlichte Paul Kalkbrenner im Jahr 2001; größere Bekanntheit in der Dance-Szene erlangte er 2004 mit dem dritten Album „Self“, das durch den Einsatz von Downbeat- und Trance-Elementen sowie durch überwiegend positive Kritiken auffiel.
- Chartrekord und Durchbruch : Seinen endgültigen Durchbruch feierte Paul Kalkbrenner 2009 mit der Single „Sky And Sand“, die gemeinsam mit seinem Bruder Fritz entstand und sich mit insgesamt 129 Wochen in den deutschen Charts zum Rekordhalter entwickelte – länger als „Ein Stern“ von DJ Ötzi oder „Last Christmas“ von Wham!
- Eigene Plattenfirm a: 2010 gründete Kalkbrenner sein eigenes Label „Paul Kalkbrenner Musik“, auf dem unter anderem das Album „Icke Wieder“ erschien.
„No Goodbye“ schließt dann nahtlos an: düster, treibend, fast melancholisch – bis Kalkbrenner mit einem feinen Delay-Übergang zu „Cloud Rider“ überleitet. Der Track entfaltet sich aus einem weiten Klangraum. Die Beats schieben vorwärts, der Refrain lässt die Menge schließlich aufspringen. „Bustin‘ up on a cloud, shout out loud, you’re the one for me“, singen tausende Fans lauthals mit und tanzen dazu unterm Abendhimmel.
Paul Kalkbrenner am Mannheimer Schloss: Ein magischer Moment mit „Sky And Sand“
Kalkbrenners Set ist in weiten Teilen durchkomponiert. Zwischen seine eigenen Tracks mischt sich aber auch punktuell Fremdmaterial, wie etwa sein eigener Remix von Stromaes „Te Quiero“, der rhythmisch elegant in die Menge gleitet. Dann folgt ein überraschender Moment: Kalkbrenner spielt einen bisher unveröffentlichten Track namens „Wonderful Life“ – ein meditatives Stück, schwebend, getragen von nebligen, fast klagenden Vocal-Samples. „You wonderful life“, haucht es aus den Lautsprechern. Ein kleiner Moment der Ruhe, atmosphärisch dicht, kurz vor dem eigentlichen Wendepunkt des Konzerts.
Denn Kalkbrenner weiß genau, wann er wieder anziehen muss. „Sky And Sand“, sein bekanntester Track, kommt fast pünktlich zur Mitte des Sets. Es ist ein magischer Moment: Handy-Lichter gehen an, Stimmen heben sich, das Vocal-Sample von Bruder Fritz trifft auf eine warme, pulsierende Synth-Wand. Der Song wurde durch den Film „Berlin Calling“ bekannt und weckt im ein oder anderen nostalgische Gefühle. Mannheim feiert den Track als Techno-Hymne.
Nach diesem emotionalen Höhepunkt verschärft Kalkbrenner das Tempo: „Schwer“ und „Jestrüpp“ schlagen mit drückenden Bässen auf die Menge ein, lassen die Tiefe seiner Produktionen spüren. Mit „Revolte“ bringt er orchestrale Größe ins Set – ein dramatischer Aufbau lässt die Spannung steigen. Mehrere Drops und Soundflächen, die sich nach und nach aufschichten bringen die Fans zum Tanzen.
Die Show in Mannheim überzeugt nicht nur durch Lautstärke
Das Lichtdesign bleibt bei Kalkbrenners Show reduziert, aber effektiv: Rotierende Spots leuchten immer wieder auf, weißes Stroboskoplicht flackert, Scheinwerferkegel, die ins Publikum strahlen, bewegen sich im Takt zur Kick-Drum.
Zum Finale erklingt der Song „Feed Your Head“. Der Song nimmt die Vocals des Jefferson-Airplane-Songs „White Rabbit“ auf und verwebt sie mit pulsierenden Streicher-Flächen und gestreckten Beats – ein letzter kollektiver Mitsing-Moment. Wieder singt das Publikum, wieder bewegt sich alles, wieder gelingt Kalkbrenner ein musikalischer Höhepunkt. Er spricht kein Wort, spielt exakt zwei Stunden und geht dann. Nur ein Wurfkuss in die Menge – das war’s.
Paul Kalkbrenners Auftritt in Mannheim überzeugt nicht nur durch Lautstärke, sondern auch durch Struktur. Bei seinem Konzert gibt es kein plattes DJ-Gepose, keine Pyroshow – stattdessen Handwerk, Timing, und tiefe Musikalität. Paul Kalkbrenner bleibt sich treu: Er braucht keine Riesen-Show, um präsent zu sein – nur einen bewegten Takt, einen satten Groove und eine Zigarette.
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