Als Jan-Paul Reinke nach gut zwei Stunden die letzten stürmischen Takte von Tschaikowskys Vierter im Musensaal des Mannheimer Rosengartens zu Ende dirigiert, hat das etwas von einem Gipfelsturm. Ein letzter Sprint, ein letztes Fortissimo der Streicher - und endlich wartet die Aussicht einer Begeisterung auf das Stamitz-Orchester, die sich konsequenter nicht in Beifall übersetzen könnte.
Um das gleich vorwegzunehmen: Das Orchester liefert unter Reinkes Leitung nicht einfach ein solides Konzert. Dieser Abend ist eine romantische Großleistung zum Niederknien. Und die nimmt bereits bei der Ouvertüre zum Edmond Rostands „Cyrano der Bergerac“ ihren Lauf. Denn der Dirigent und sein Klangkörper nehmen sich mit dem Werk des Organisten Johan Wagenaar ein Stück romantische Musikgeschichte zur Brust, das so viel mehr vermittelt, als nur einen Anfang. So jedenfalls, wie die Musiker des Stamitz-Orchesters es spielen, strotzt dieses Eröffnungswerk vor Drama und Schönheit, Zartheit und Hintersinn. Mehr kann man sich schwerlich wünschen.
Rauschende Ovationen
Außer vielleicht eine Solistin namens Daniela Tessmann, die sich Strauss’ Oboen-Konzert in D-Dur mit allem nötigen Gestaltungsdrang zu Eigen macht. Selbstbewusst. Virtuos. Tief ästhetisch. Mögen die warmen Streicher-Passagen samt dem sorgsam ziselierten Fundament aus Blech und Holz die festen Stile und Blätter formen, so lässt Tessmann an ihrem Instrument die Rosenblätter zu prachtvollen Blüten heranreifen. Wie filigran und gleichsam agil die Solistin hier durch die Läufe huscht, wie souverän sie sich in den Tutti mit ihren hochromantischen Färbungen die Strahlkraft vor dem Klangkörper bewahrt - diese Emphase sucht man selbst bei Weltklasse-Interpreten dieses zarten Instruments oft vergeblich.
Man genießt dieses fast schon selbstverständliche Zusammenspiel bisweilen derart, dass die drei Sätze nur so dahin rasen mögen - und rauschende Ovationen für die Protagonistin zweifelsohne nicht ohne die entsprechende Antwort bleiben dürfen, die mit zwei augenzwinkernden Telemann-Sätzen passende Lebensfreude auch in ihrer Zugabe kredenzt.
Fast möchte man sich fragen, ob dieses Kampfstück von Tschaikowsky zum Finale noch sein müsste. Denn bereits vor der Pause hat das Stamitz-Orchester nichts mehr zu beweisen, nichts unerfüllt gelassen. So betrachtet wird der Ritt durch die Sinfonie mit einem majestätischen ersten und einem herrlich spielerisch gezupften Intro im dritten Satz eher zu einem Ausweis der Untiefen, die dieser Klangkörper vermessen kann, wenn ein Mann wie Jan-Paul Reinke am Dirigentenpult steht. Denn ganz gleich wie bombastisch uns die Moll-Kadenzen bisweilen erdrücken wollen: Der Weg hoch zum sonnigen Gipfel wird bei solcher Entschlossenheit nie zu steil. Das Panorama am Ende - ein Genuss.
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