Nikita Miller scheint eine Fähigkeit zu besitzen, um die man ihn wahrlich beneiden darf: Seine Seelenruhe zu bewahren, auch wenn die Welt völlig aus den Fugen gerät. Etwa, wenn man Türsteher in einem Club ist und gerade eine ziemlich mies gelaunte Gang auf einen zustürmt, weil der eigene Kumpel kurz zuvor und ohne Vorwarnung einen der ihren k. o. geschlagen hat. Es gibt zwar auch in dieser Geschichte gleichsam einen Wendepunkt befreiender Komik. Doch der kommt zu spät, erst nachdem die zwei gehörig vermöbelt wurden. Aber, um eine Lebensweisheit von Millers russischem Vater zu bemühen: „Schmerz ist wichtig. Weil ohne Schmerz entwickeln wir uns nicht weiter.“
Kulturelle Missverständnisse
Man könnte es auch als die Kunst der stoischen Eskalation bezeichnen, was Comedian Miller auf der Bühne im gut gefüllten Heidelberger Karlstorbahnhof betreibt, wo er sein Programm „Freizeitgangster gibt es nicht!“ beim Kabarett- und Comedyfestival Carambolage 22 präsentiert. Durch Kindheit und Jugend führen uns seine Geschichten, die neben dem Vater als zentralem, entwicklungspsychologisch folgenreichen Fixpunkt vor allem Millers Freunde Viktor, Oleg und Vadim umfassen, die allenthalben mit zwischen die Fronten deutsch-russischer „kultureller Missverständnisse“ geraten.
Da beklaut man sich zu Schulzeiten auch schon mal gegenseitig, wenn einem das Gras ausgegangen ist; als Stuttgarter Studenten arbeitet man dann in einer Entrümpelungsfirma und steckt hinterlassenen Schmuck ein. Einmal finden sie auch richtig viel Geld – müssen aber merken, dass sie gerade die falsche Wohnung ausräumen. Miller nennt sich einen „Comedic Storyteller“, einen komödiantischen Geschichtenerzähler, und tatsächlich ist es mehr der trockenhumorige, lakonische Erzählfluss als das Hinarbeiten auf eine spezifische Pointe, was den Reiz seiner Bühnenkunst ausmacht. Und das macht er sehr gut und unterhaltsam.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-nikita-miller-im-heidelberger-karlstorbahnhof-_arid,1906737.html