Mannheim. Eigentlich ist es eine einfache Geschichte, am Anfang zumindest. Franz Escher, ein allein lebender Trauerredner, wartet auf den Elektriker, der sich für den Vormittag angekündigt hat: Ein Wackelkontakt in der Küche soll endlich repariert werden. Während er wartet, liest Escher in einem Buch über Elio, einem jungen Mafioso, der in Haft darauf wartet, in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden: Er hat die ganze „Familie“ an die Justiz geliefert, einzig der Boss ist entkommen. Und dann klingelt endlich der Elektriker und macht sich ans Werk. Als es dann noch einmal klingelt, geht Escher an die Tür und drückt gedankenverloren auch die Sicherungen wieder rein. Und hört das Klacken eines fallenden Schraubenziehers und das laute Rumpeln eines fallenden Körpers. Und da liegt der Elektriker tot auf dem Küchenfußboden.
Eigentlich also eine einfache Geschichte. Aber da sie Wolf Haas geschrieben hat, der mit den Brenner-Krimis berühmt wurde, ist sie es dann doch nicht. Denn Franz Escher liest in seinem Buch über Elio, wie der im Gefängnis sitzt und ein bisschen Deutsch von seinem Mitgefangenen Sven lernt. Und Elio liest ein Buch, in dem ein Franz Escher auf einen Elektriker wartet und aus Versehen die Sicherungen wieder reindrückt. Und dann das Klacken eines fallenden Schraubenziehers und das Rumpeln eines fallenden Körpers hört.
Hintersinniger Kommentar zu der Frage: Wer erzählt?
Derart abwechselnd verschraubt geht es weiter: Elio wird eines Nachts vom Untersuchungsrichter aus dem Gefängnis geholt, der ihm seinen Grabstein zeigt und ihm Geld und einen neuen Pass mit dem Namen Marko Steiner gibt und den Rat, sich zur Sicherheit nie wieder mit Italien oder Italienern einzulassen. Und Elio/Marko fährt nach Deutschland, nach Duisburg und lernt Deutsch im Privatunterricht. All das liest Escher, während er sich mit der Elektrofirma und der Polizei und später mit der Witwe auseinandersetzen muss, und Elio/Marko liest wiederum das, während er Fahrräder repariert und Elektriker wird. Eine Beziehung mit einer Frau eingeht, mit Bedingung: keine Fragen, auch die Frau will es so. Kompliziert oder noch komplizierter wird es, als ihre Tochter Ala wissen will, wer ihre Großeltern waren und Elios/Markos Foto ins Internet stellt. Und noch komplizierter, als Escher plötzlich merkt, dass real ist, was er liest. Dann verwickeln sich die Geschichten immer mehr, verschlingen und verknoten sich zu einem grotesken Ende.
Nicht nur die absurde Verschränkung der beiden Bücher ist höchst komisch, sondern auch die vielen Details, mit denen Haas spielt. Etwa, wenn er Elio/Marko die Umgebung per Rad erkunden lässt und er dabei über die deutsche Sprache assoziiert: „Eines Tages war sein Rad weg. Ich stehle, du stiehlst. Ich habe mich davongestohlen. Pissen, pinkeln, austreten, schiffen, mal kurz verschwinden müssen. Er lehnte das Rad an einen Baum, genauer gesagt an den Rand des Baumes, an die Rinde (Rand, Rinde, rund Rind).“ Und Escher verstrickt sich ständig in seinen mäandernden Gedankengängen. Aber der Roman ist auch ein hintersinniger Kommentar zur Frage: Wer erzählt? Was ist auktoriales Erzählen, wenn das, was erzählt wird, doch nur in einem anderen Buch steht? Perspektive und Zusammenhang zwischen Leben und Literatur werden hier höchst spaßig neu ausprobiert.
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