Lesung - Ukrainische Dramatiker erzählen im NTM „Vom Krieg“

Nachrichten über Yoga und Wut

Von 
Nora Abdel Rahman
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Anastasiia Kosodii ist neue Hausautorin für die Spielzeit 2022/23. © NTM

„Natürlich kann man sein Leben für eine Katze aufs Spiel setzen…“, heißt es in einem Text von Lena Ljagushonkova. In den Sätzen der Dramatikerin geht es immer wieder um eine Katze, die ohne Futter in einer Wohnung in der vom Krieg durch die russische Invasion gezeichneten Ukraine eingeschlossen ist. Aber es geht im Text, der von einem Nachrichten-Dialog auf Telegram erzählt, nicht nur um diese Katze. Doch für den Menschen, zu dem das Tier gehört, dreht sich eben alles um sie. Im Austausch der Kurznachrichten heißt es dann weiter: „Meine Mutter in Butscha ist tot – wieso sollte deine Katze leben?“ Später erfahren die Zuhörer, dass jenes Kätzchen von einer halbblinden alten Frau versorgt wird, die sich weigert zu gehen.

Gerade erst neu gegründet und noch mitten in der Renovierung steckte das Kyiver Theatre of Playwrights, als am 24. Februar 2022 die russische Armee ihre Invasion gegen die Ukraine startete. Mitgründerin des Theaters im Zentrum von Kiew, das sich für die Rechte und die Vernetzung von Dramatikerinnen und Dramatikern der Ukraine einsetzt, ist Anastasiia Kosodii. Sie hat die zweisprachige Lesung, die von London über Berlin und Mannheim nach München und Hannover tourt, mit drei ukrainischen Schauspielerinnen und zwei deutschen Schauspielern organisiert.

Von Kerstin Grübmeyer, der Chefdramaturgin und stellvertretenden Intendantin vom Mannheimer Schauspielhaus, erfährt das Publikum außerdem, das die ukrainische Dramatikerin Kosodii neue Hausautorin der Spielzeit 2022/23 wird. Ihre Solidaritätsveranstaltung „Vom Krieg“ stellt die Protokolle, Berichte und Tagebucheinträge von sieben bedeutenden Dramatikerinnen und Dramatikern des Kyiver Theatre of Playwrights vor und konzentriert sich ganz auf die Stimmen der Schauspieler und Schauspielerinnen.

Biblische Anspielungen

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Natalka Vorozhbyt berichtet von nach Wien geflüchteten Frauen, die sich die neuesten Kriegsnachrichten am Smartphone zurufen: „Heute ist also Vergebungssonntag“. Oder Oles Barleeg, der ebenfalls auf die biblische Anspielung beharrt: „Die menschenfressende Wahrheit vergeht nicht einfach so … die braucht ihre 40-Jahre-Wanderung durch die Wüste…“. Und Olha Mazjupa glaubt „an die Wut, die zu Asche verbrennt“ und fragt, ob das Feuer, das die ukrainischen Dörfer jagt, jemals stoppen wird. Oder Oksana Savchenko, die berichtet: „An dem Tag, als mein Kind Nasenbluten bekam, beschloss ich, Kiew zu verlassen.“ Oder Andrij Bondarenko, für den Angst, Verzweiflung und Weinen Luxus sind, weil man sich diese Gefühle nicht leistet. Und Natalka Blok protokolliert: „Aus lauter Wut Kundalini Yoga gemacht, damit ich die Sirenen nicht hören musste.“

90 Minuten später überlagern sich Sätze der Dramatikerinnen und Dramatiker durch die Stimmen der Schauspielerinnen und Schauspieler zu einer Kollage, die das Publikum erahnen lassen, wie sich Menschen im Krieg befinden.

Freie Autorin

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