Das Interview - Sänger Steven Elijah Neuhaus spricht über Musik, Boxen, Schule und sein Asperger-Syndrom

Musiker zum Welt-Autismus-Tag: „Ich habe gemerkt, dass meine Geschichte Mut macht“

Von 
Katharina Koser
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Steven Elijah Neuhaus im Gespräch mit Interviewerin Katharina Koser von der Kulturredaktion. © Thomas Tröster

Steven Elijah Neuhaus hat es 2018 mit seiner Single „Federleicht“ in die Dance Charts geschafft. 2019 folgten ein Vertrag als Songtexter mit dem Sony-Verlag und der Firma Schallauge des Heidelbergers Branchenprofis Willy Ehmann sowie die Single „Bei Dir“. In diesem Jahr soll sein Album veröffentlicht werden, außerdem arbeitet der Mannheimer Musiker an einem Buch. Im Interview spricht er anlässlich des Welt-Autismus-Tages über sein Asperger-Syndrom und über das Anderssein als Superkraft.

Herr Neuhaus, wie geht es Ihnen gerade?

Steven Elijah Neuhaus: Gut! Für den 1. April bin ich vom SWR zum Welt-Autismus-Tag eingeladen worden. Ich bin öfter beim SWR, gerade wenn es um solche Themen geht und die Art von Musik, die ich mache, wie ich dazu gekommen bin… Das ist immer eine spannende Geschichte für die öffentlichen Medien, weil es da auch viel darum geht, Mut zu machen. Das ist auch mein großes Bestreben. Ich weiß nicht, ob Sie die Songs schon gehört haben…

Ja. Es klingt ein bisschen wie Mark Forster, wenn man das so sagen darf.

Neuhaus: Ja ich habe schon vieles gehört … Es gibt Leute, die sagen, es erinnert an Falco, die anderen sagen Mark Forster oder ähnliches… Für mich ist es Steven Elijah.

Sind Sie stilistisch noch in der Experimentierphase, oder fühlen Sie sich einfach in jedem Genre zu Hause?

Neuhaus: Ich arbeite jetzt mit Erfolgsproduzent Ivo Moring - er hat zum Beispiel „Ein Stern (Der deinen Namen trägt)“ produziert oder Songs von Christina Stürmer. Sein Style liegt mir, ich schreibe die Texte. Und momentan ist der Sound, wie er eben ist. Ich komme aus dem Hip-Hop-Bereich und habe mich dann ein bisschen an den Pop anpassen müssen. Ich lasse mich aber auch auf diese aktuelle musikalische Schiene ein, es gibt mir einige künstlerische Freiheiten. Und ich habe Vertrauen zu den Leuten. Meine Miete muss ich ja auch bezahlen können.

Das heißt, Sie machen das auch aus Popularitätsgründen?

Neuhaus: Ich glaube, es ist automatisch so bei den Produzenten, dass sie sich dem aktuellen Sound anpassen. Für mich ist es ein Kompliment, wenn Sie sagen, dass es Sie an Mark Forster erinnert. Trotz allem werden die Sachen von Leuten gefeiert, die ich als Pur-Publikum eingestuft hätte. Gerade die Themen sind in den Songs auch ein Schwerpunkt. Wir haben uns dazu entschieden, das Album ganz klar biografisch zu halten. In diesem Stil möchte ich auch bleiben.

Wenn Sie unabhängig von Trends Musik machen könnten, was wäre das für ein Sound?

Neuhaus: Falco, Bilderbuch, das wäre vielleicht die Richtung, die ich irgendwann mal machen würde. Dennoch habe ich bei den Songs, die ich jetzt geschrieben habe, so viel Echtes aus mir rausgeholt, wie es möglich ist. Wichtig ist, glaube ich, der Wiedererkennungswert. In Ivo Moring habe ich da den idealen Produzenten gefunden.

Wie sind Sie „entdeckt“ worden?

Neuhaus: Ich hab die Leute genervt (lacht), auf meine ganz autistische Weise. Ich hab die einfach zugeballert mit Mails. Irgendwann hat sich dann einer erbarmt. An dieser Stelle danke an Willy Ehmann, der mir unheimlich geholfen hat.

Sie sprechen viel über ihr Asperger-Syndrom. Haben Sie Bedenken, dass das zum Stempel wird - „der Autist“?

Neuhaus: Nein. Dann bin ich eben „der Autist“. Dann unterscheidet mich das auch wirklich von allen anderen, die das nicht haben. Das macht mich ja aus. Ich sehe das jetzt nicht als Label, aber ich weiß, dass es ganz viele Menschen gibt, die darunter leiden. Ich treffe mich auch mit vielen solcher Menschen, die nicht an die Öffentlichkeit gehen, die gerne mehr Aufmerksamkeit hätten. Ich habe gemerkt, dass meine Geschichte Menschen Mut macht. Ich habe damit kein Problem, dass die Leute sagen: „Guck mal, obwohl er kämpfen musste, hat er das geschafft.“

Sehen Sie sich als Underdog?

Neuhaus: Schon. Ich habe ja 20 Jahre lang geboxt und war da sehr erfolgreich, bin Vizeweltmeister und Deutscher Meister geworden, habe am Olympiastützpunkt trainiert, war in der Nationalstaffel bei den Kickboxern. Da war ich auch immer der Underdog, weil ich immer unterschätzt wurde. Und dann habe ich die Erwartungen doppelt oder dreifach erfüllt und die Leute total überrascht.

Sie haben auch Probleme mit Ihren Augen, oder?

Neuhaus: Ich bin sehbehindert, das ist angeboren. Ich sehe nur 30 Prozent mit Brille. Das sind aber meine 100 Prozent, weil ich ja nichts anderes kenne. Das wurde auch erst entdeckt, als ich 18 Jahre alt war. Dadurch war es natürlich noch ein bisschen schwieriger mit dem Asperger-Syndrom, weil man da ja eh schon Probleme hat, Gesichtsausdrücke zu interpretieren. Wenn du dann noch sehbehindert bist, wird es echt schwer, zu erkennen, was das Gegenüber meint. Ich habe über Jahre gelernt, wie ich das einzuschätzen habe. Und ich habe meine Scheu verloren, Vorträge zu halten oder auf die Bühne zu gehen. Da war ich früher zurückhaltender. Aber ich sehe die Leute ja sowieso nicht.

Wie sind Sie als Kind mit Ihren Einschränkungen zurechtgekommen?

Neuhaus: Ich bin ja auch Legastheniker. Legasthenie ist vererbbar. Bei Asperger ist man sich noch nicht so sicher, ob das vererbbar ist. Aber im Endeffekt ist das egal. Wer’s hat, der hat’s, und der hat auch damit zu kämpfen. Insbesondere in den Schulen, weil die pädagogisch nicht dafür ausgerüstet sind, mit solchen Kindern umzugehen. Wenn man sich anschaut, wie wenig in Bildung investiert wird - das ist grauenvoll. Ich habe auch gute Lehrer getroffen, die versucht haben, ein freies Denken zu ermöglichen. Zumindest bei mir ist es ja ein speziellerer Fall gewesen. Aber es gibt einfach auch gemeine Lehrer, die Andersartigkeiten wie Asperger-Syndrom oder Legasthenie nicht abhaben können. Und die machen dann jemandem wie mir das Leben zur Hölle. Ich habe gerade auf der Walldorfschule die schönsten und die schrecklichsten Dinge erlebt. Ich habe davon profitiert, dass ich meine Interessen ausleben konnte. Schauspielerei, Literatur, Sport, Erdkunde. Das hat mir enorm viel Spaß gemacht.

Was hat Ihnen keinen Spaß gemacht?

Neuhaus: Musik. In der Walldorfschule habe ich Musik gehasst. Mein Klassenlehrer war Chorleiter und hat mich aus dem Chor geschmissen.

Hat Sie das angespornt?

Neuhaus: Nee, eigentlich war das Zufall, nachdem ich krankheitsbedingt die Karriere als angehender Profiboxer aufgeben musste. Aber für mich gibt es nicht den Satz: „Du kannst das nicht.“

Am 2. April ist Welt-Autismus-Tag, worauf Sie auch hinweisen. Wie macht sich das Asperger-Syndrom in Ihrem Alltag bemerkbar?

Neuhaus: Vor allem in zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich kann manchmal schwer die emotionalen Dinge bei den Menschen, die ich liebe, zulassen oder erkennen. Als Kind habe ich eine Angststörung bekommen, weil ich vieles nicht verstanden habe, hatte Panikattacken. Die kommen heute selten vor. Dass ich einen Haushalt führen kann, dass ich ein normales Leben führen kann, das war viel Arbeit. Früher war das ein Drama für mich, wenn ich irgendwo mit dem Zug hinfahren musste. Heute gehört es zu meinem Beruf und ist Routine. Meine Familie weiß, dass sie mich in Ruhe lassen muss, wenn ich zum Beispiel reizüberflutet bin oder einen Shutdown habe. Das fühlt sich dann an, als hätte ich zu viel Alkohol getrunken und alles stürzt auf mich ein. Das ist aber auch etwas, das ich mit Musik gut verarbeiten kann. Durch die Musik habe ich meine eigene Sensibilität und meine Empathie gestärkt.

Wie geht das?

Neuhaus: Es ist schwer. Ich glaube, es funktioniert mit Selbstreflexion. Asperger sind dafür bekannt, sich in Schwerpunkten megamäßig auszukennen. Wenn die eine Affinität für sich selbst bekommen, dann kann das ein Schlüssel sein. Da hat mir die Musik immer geholfen und war ein ständiger Begleiter. Die Musik ist mein Freund, der mich an die Hand nimmt und mir Wege aufzeigt, mir das Gefühl gibt, frei zu sein. Jeder Asperger, jeder Mensch sowieso, hat in sich eine besondere Begabung. Und man muss sie dann auch mal an die Hand nehmen. Das wird nicht von vielen gemacht.

Auf Ihrem neuen Album wird auch ein Song sein, in dem Sie vom Anderssein als Superkraft singen. Was ist Ihre „Superkraft“?

Neuhaus: Da orientiere ich mich an einem Zitat von Winston Churchill: „Erfolg ist die Fähigkeit, von einem Misserfolg zum anderen zu gehen, ohne die Begeisterung zu verlieren.“ Das ist für mich eine Erfolgsformel, die einen zu seinen Zielen bringt. Egal, wie oft man gestürzt ist. Durch diese Resilienz habe ich meine Stärken kennengelernt. Und das verstehe ich bei mir als Superkraft. Vielleicht kann es auch ein generelles Erfolgsrezept sein, vor allem in nicht sehr leichten Zeiten, in denen wir uns gerade befinden.

Um das Thema Coronavirus kommen wir wohl nicht herum. Wie spüren Sie die Krise beruflich?

Neuhaus: Aktuell musste ich viele Konzerte absagen und bekomme auch keine Anfragen mehr. Die Veranstalter warten jetzt auch mit dem Booking. Ich bin eingetragen als Support für einen anderen Künstler in der zweiten Jahreshälfte, aber wir wissen ja noch gar nicht, wie sich das alles entwickelt. Ich muss schon schauen, wie ich in der nächsten Zeit meine Miete bezahle. Aber solange meine Familie gesund ist und es allen gut geht… Das ist doch wichtiger als die abgesagten Konzerte.

Musiker aus Worms

  • Steven Elijah Neuhaus ist 30 Jahre alt und stammt aus Worms. Er ist Asperger-Autist und Legastheniker und hat eine Sehbehinderung.
  • Wegen einer schweren Erkrankung musste er mit 17 Jahren eine sich abzeichnende Karriere als Profiboxer aufgeben.
  • Von 2012 bis 2016 studierte er Tontechnik und Musikproduktion in Köln.
  • Seit 2018 ist er als Solokünstler unterwegs und wird dabei von Musikmanagerlegende Willy Ehmann (Sony Music, V2, Epic) aus Heidelberg unterstützt.
  • Neuhaus lebt in einer Beziehung, im November 2019 wurde er zum ersten Mal Vater. (kos)

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