Ludwigshafen. Das „Schön, dass du da bist“ glaubt er selbst nicht. Wir, also das Publikum an zwei gut besuchten Abenden im Theater im Pfalzbau, sehen es sofort. Weil es ein Schauspieler wie Steven Scharf sagt. 2013 erhielt er in Bensheim den Eysoldt-Ring für seine „Judas“-Darstellung im gleichnamigen Einpersonenstück Lot Vekemans. Diejenige, die den vermeintlich harmlosen Satz auf der Bühne idealerweise glauben soll, heißt Caroline Peters. Ein Millionenpublikum liebt sie für die mittlerweile abgelegte TV-Rolle der Kommissarin Sophie Haas im humoristischen Eifel-Krimi „Mord mit Aussicht“. Am Burgtheater, woher Simon Stones „Medea“ gleich für zwei Abende nach Ludwigshafen kam, liebt man sie auch für das ernste Fach. Warum, weiß man jetzt auch am Rhein.
Anna heißt ihre Figur, die nach diversen Therapien „nach Hause“ kommt, eines, das ihres längst nicht mehr ist, weil die betrogene Pharmakologin versucht hat, ihren Mann Lucas, eben Steven Scharf, in kleinen Dosen zu vergiften. Es hat nicht geklappt. Seine Geliebte deckte den Mordversuch auf. Ob er dafür dankbar sein soll, weiß Lucas am Ende der Vorstellung nicht, wenn seine Söhne ermordet, seine Verlobte erstochen, seine Ex-Frau verbrannt sind und sein Haus in Schutt und Asche liegt.
Das Gift der Rache
Mit Euripides, Sie suchen nach dessen titelgebender „Medea“ vergeblich, hat das, wie sooft beim Schweiz-Australier Simon Stone nicht nichts, aber doch wie immer sehr wenig zu tun. Wir schwimmen kurz über den Rhein und durch trübe Erinnerungen. Da war doch was ... Richtig, Stone ist (neben vielen anderen) eine Entdeckung des Berliner Volksbühnen- und Münchner Kammerspiel-Recken Matthias Lilienthal, der ihn 2014 im Rahmen des Festivals „Theater der Welt“ nach Mannheim brachte, wo sein „Thyestes“ nach Seneca im Nationaltheater zu sehen war. Stone hat längst Karriere gemacht, als Opernregisseur (etwa mit Cherubinis „Médée“ oder Reimanns „Lear“ in Salzburg), als Hausregisseur in Basel oder 2021 auch als Netflix-Regisseur („Die Ausgrabung“ mit Ralpf Finnes).
Schauspielerin Caroline Peters
- Caroline Peters wurde 1971 in Mainz geboren. Ihre Schauspielausbildung absolvierte sie an der Hochschule für Musik und Theater des Saarlandes in Saarbrücken.
- Danach ging sie zunächst an die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, war danach am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, an der Volksbühne Berlin und am Schauspielhaus Zürich engagiert, nun ist sie Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters.
- Bekannt wurde sie durch die WDR-Krimiserie „Mord mit Aussicht“ (2008 -2014). Im Kino war sie etwa in Sönke Wortmanns „Der Vorname“ und der Filmkomödie „Womit haben wir das verdient?“ zu sehen.
- Peters ist Grimme-, Nestroy- und Wildgruber-Preisträgerin, gewann den Bayerischen Fernsehpreis und wurde 2016 und 2018 in der Kritikerumfrage von „Theater heute“ Schauspielerin des Jahres.
Hier haken wir ein: Stone liebt den Realismus inszeniert im Schauspiel mit Vorliebe Ibsen oder Strindberg, kann aber seinen Antiken-Fimmel nicht ablegen. Auf „Thyestes“ folgten „Lysistrata“, „Die Bakchen“, „Orestie“, „Die Troerinnen“ und eben auch „Medea“, die allesamt mit den Originaltexten nichts zu tun haben, oder eben fast nichts. Sein ästhetisches Verfahren geht so: Er sucht sich aus den blutigen Stoffen einige zentralen Motive heraus, kocht sie zeitgenössisch und realitätsplausibel ein und macht daraus international mit großen Schauspielern Theaterabende, die man beruhigt „neo-psycholgischen Realismus“ nennen darf.
Die einen feiern Stone in Endlosschleifen als großbürgerlichen Retter des (totgeglaubten) seriösen Einfühlungs- und rollenbasierten Sprechtheaters, die andere schwanken zwischen sprachlichen Etiketten wie „der Netflixer“, „Hochglanz-Zusammenfasser“, „Gala-Übersetzer“, „Vorabend-Dramatiker“ oder „Blutrausch im Marienhof“. Alles hübsch - und irgendwie auch alles wahr.
Genau das ist auch das Problem dieser auf der klinischen reinen Bühne von Bob Cousins in biederen Eleganz-Kostümen von An D’Huys und Fauve Ryckebusch grandios gespielten „Medea“: keineswegs gepflegte Langeweile, aber eben doch auch auf hohem Niveau unspektakulär. Erzählt wird die Geschichte einer sympathischen Borderlinerin - wenn es eine kann, dann die Peters -, die (zumindest das vorlagegemäß) dem Blutrausch verfällt. Denn Aussicht auf Besserung gibt es nicht.
Es ist alles gesagt
Der Sozialprognose und der Eingliederung wegen überredetet man Lucas, den Familienkontakt mit Anna zuzulassen. Sie wittert die Chance. Doch der Versuch, den sonst doch eher biegsamen Lucas zurückzugewinnen, gelingt ihr trotz einer aufgewärmten Bettgeschichte ebenso wenig wie der, das Sorgerecht für die beiden Jungs (Sandro Eder, Noah Fida) oder den alten Job wiederzubekommen. Diese Karriere macht jetzt Lucas. Bei ihrem einstigen Chef und dessen künftigem Schwager (herrlich als gruseliger Neoliberaler: Christoph Luser) beißt sie ebenso auf Granit. Dazu nervt noch Lucas neue Flamme (Marvie Hörbiger) und die Sozialarbeiterin (Irina Sulaver). Es ist alles gesagt. Kein Grund zu Hysterie, zum Bitten, Betteln, Argumentieren, Flehen. Ruhig wird Anna, ganz ruhig und sachlich. „Du hättest etwas ändern können.“ Dann regnet es leise Asche...
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