Es war einer der intensivsten Momente in der Festspielaufführung des vergangenen Jahres: Die Schauspielerin Karina Bergmann, die im Nibelungenfilm die ältere Kriemhild spielt, sitzt - vollständig bekleidet - im See, hadert mit ihrem Leben und entblößt ihre Seele in einem ergreifenden Monolog. Mit einem weiteren Monolog ist Katja Weitzenböck, die 2016 ebendiese Bergmann/Kriemhild gab, zurückgekehrt und gestaltet einen nicht minder intensiven Abend als Solistin im Ein-Personen-Stück "Die Frau des Michelangelo" von Eric Assous, nuanciert begleitet von Pianist Harry Ermer.
Ihre Figur sitzt in der Bar des Pariser Hotels Michelangelo und wartet. Die Freundin kommt nicht, dafür ein Mann, der sie unverblümt fragt: "Was kosten Sie?". Er bietet 1500 Euro für eindeutige Dienste. Es ist großes Theater im kleinen Kammerspiel, was Weitzenböck daraus macht. Sie entwickelt den Charakter einer Frau Biedermann, die ihre Lust am frivolen Spiel entdeckt und dabei über sich selbst erschrickt, als brave Mutter und Ehefrau auf der Suche nach dem Abenteuer.
Mit zarter Mimik und Gestik schlüpft Weitzenböck in die jeweiligen Rollen. Der Widerstreit der Gefühle drückt sich in ihrem Körperspiel inklusive krampfhaftem Nesteln mit der Handtasche aus. Die Beine ein wenig gespreizt, den Kopf in die Hand gestützt, die Stimme gesenkt - jeder weiß: Jetzt spricht Louis-Marie Hauteville, der Liebhaber, der für jedes Tête-à-Tête bezahlt. Als Kulisse reichen der Schauspielerin ein Tisch, ein Stuhl und ein Cocktail - der Rest ist Kopfkino.
Die Festspiel-Organisatoren probieren mit dem Solo-Programm ein neues Format aus. Das Publikum nimmt nicht im großen Theatersaal, sondern direkt auf der Bühne Platz. Es gibt keine 800, sondern gerade mal 120 Plätze. So schafft der Rahmen eine intime Atmosphäre, passend zum Sujet, das der französische Dramatiker Eric Assous der Weitzenböck nicht besser auf den Leib hätte schreiben können.
Die künstlerische Betriebsdirektorin der Festspielgesellschaft, Petra Simon, macht bereits Appetit aufs kommende Jahr. Dann wird Katja Weitzenböck wiederkommen, mit neuem Programm und zwar gemeinsam mit Festspielensemble-Kollege Dominik Raake. Deren Programm entsteht gerade erst.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-mitreissender-striptease-der-seele-_arid,1094173.html