Lesen.Hören - Dogan Akhanli über politisch Verfolgte

Mit Wut und Humor

Von 
Simone Sohl
Lesedauer: 
Dogan Akhanli in der Alten Feuerwache. © sos

Absolute Finsternis. Schläge. Schimmel, Blut, Exkremente. Was Dogan Akhanli von seinem ersten Aufenthalt in einem türkischen Gefängnis erzählt, klingt schauderhaft – vor allem angesichts der Willkür, mit der der damals 18-Jährige in diese Situation gebracht wurde: Er kam in Haft, weil er eine politische Zeitschrift gekauft hatte. Jahre später war er erneut im Gefängnis, wurde tagelang gefoltert – doch dieses Erlebnis sei einfacher zu verkraften gewesen, sagt Akhanli: „Ich war Aktivist und wusste, was auf mich zukommen würde. Beim ersten Mal war ich ein unschuldiger junger Mann und verstand nicht, was mit mir geschah.“

Der in der Türkei aufgewachsene, seit 1991 in Deutschland lebende Dogan Akhanli ist nicht nur politisch Verfolgter, er ist auch Schriftsteller – und so kommt es, dass er beim Festival Lesen.Hören in Mannheim zu Gast ist. Wie schwierig es war, das Erlebte in Literatur zu verwandeln, erläutert er im Gespräch mit Insa Wilke: „Ich hatte keine Distanz. Es hat lange gedauert, bis ich eine Form gefunden habe – und bis ich auch den Tätern eine Stimme geben konnte.“ Vielleicht sind seine Romane deshalb so verschachtelt geschrieben, mit Sprüngen zwischen Zeitebenen und Identitäten.

Sein jüngstes Buch aber ist von einem anderen Duktus geprägt: Zwar wieder mit Zeitsprüngen, doch „leichter zugänglich“, wie Wilke es beschreibt, zeichnet der Wahl-Kölner die Geschichte seiner Verfolgung durch den türkischen Staat nach: von der ersten Verhaftung über seine Zeit als radikaler Aktivist und die Flucht nach Deutschland bis hin zu erneuten Verhaftungen 2010 in der Türkei und 2017 in Granada. Eine juristische Farce, deren Absurdität Akhanli bei aller Wut auch mit viel Humor beschreibt.

Texte von Gefangenen

Weil es dem Autor auch ein Anliegen ist, Geschichten anderer politisch Verfolgter öffentlich zu machen, lesen Birgitta Assheuer und Isaak Dentler neben Akhanlis Texten auch Briefe, E-Mails oder Gedichte von Gefangenen, mit denen die Festivalorganisatoren im Vorfeld Kontakt aufgenommen haben. Da ist ein Karikaturist aus Äquatorialguinea, eine Menschenrechtlerin aus dem Iran, ein unschuldig in Guantanamo Inhaftierter. Sie hätten sich gefragt, ob es „heuchlerisch“ sei, diesen Abend so zu gestalten, erzählt Wilke. Die gesammelten Stimmen der Inhaftierten sprechen aber dafür, sie zu Gehör zu bringen – und wenn es nur vor einem vergleichsweise kleinen Festivalpublikum ist.

Freie Autorin Freie Journalistin und Fotografin

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen