Schwetzinger Festspiele: Günter Krämer aktualisiert im Rokokotheater die Händel-Oper "Ezio" überraschend plakativ

Mit Wasserfolter, Blut und Panzer

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Hans-Günter Fischer

Was würde Pietro Trapassi, Künstlername Metastasio, heute tun, fast drei Jahrhunderte, nachdem er seine Operntextbücher geschrieben hat? Eine Prognose fällt nicht schwer: Er würde wohl in Hollywood sein Geld verdienen, Drehbücher verfassen. Metastasios Texte taugten damals schon als Star-Vehikel (wenn auch meistens für Kastraten-Sänger), liefen nach dem immer gleichen Schema ab und ordneten sich brav dem szenischen Spektakel unter, den Spezialeffekten. Doch vor allem: Die Geschichten hatten stets ein Happy End. In der Opera seria war das mindestens so wichtig wie in einem frühen Julia-Roberts-Film.

Im Panzer auf die Bühne

Auch "Ezio" folgt letztlich dem Schema. Mag der Stoff, den neben Georg Friedrich Händel viele andere vertonten, auch in noch so dunkle Zeiten führen. In die Zeiten um das Jahr 450, als das römische Imperium (West) den Hunnen und Wandalen gegenüberstand und kurz davor war, endgültig dahinzudämmern. Gut, wenn man da einen Feldherren wie Ezio hat. Wenn er in Günter Krämers Festspiel-Aufführung in Schwetzingen - eine Gemeinschaftsproduktion mit dem Theater Bonn - nach siegreich absolvierter Hunnen-Schlacht ins Capitol zurückkehrt, sieht das freilich mehr nach spätem Stanley Kubrick als nach Spätantike aus. Der Held ist blutverschmiert, mit Army-T-Shirt, Shorts und flachem Helm erinnert er ein bisschen an einen verlorenen Vietnam-Heimkehrer. Oder kehrt er gar vom Krieg am Golf zurück? Der Regisseur scheut diesmal keine plakativen Aktualisierungen und führt sogar die Wasserfolter ein, Guantánamo- und Abu Ghraib-Assoziationen greifen Raum. Sogar ein Panzer sprengt am Schluss des ersten Akts die Szenerie, knallt voll ins Rokokotheater. Bühnenbildner Jürgen Bäckmann hat im Auftrag Günter Krämers für ein 1:1-Modell gesorgt, das Ding ist also mindestens fünf Meter lang. Mag sein Geschützrohr auch ein wenig kurz sein und der Impotenz verdächtig.

Doch am Kaiserhof herrscht Krieg, und alle Etiketten sind bloß Maskerade. Massimo (Donát Havár) schleicht hier umher, halb Racheengel, halb Berufspolitiker, halb Jago, halb Mephisto, halb Mafioso - inklusive der Baretta in der Jackentasche. Manchmal wirkt das Ganze auch halb ernst: Denn irgendjemand muss in einer Händel-Metastasio-Oper nun einmal den Intriganten spielen, und die Hofgesellschaft auf der Bühne applaudiert ihm: Good performance. Dann wieder greift dieser Massimo zur Wasserfolter - seiner Tochter Fulvia gegenüber, die in seinem Ränkespiel nur ein Objekt ist. Diese heikle Vater-Tochter-Relation, die Händel vielen seiner Bühnenstücke eingepflanzt hat, lässt bei Günter Krämer manche Frage offen. Diesmal setzt er mehr auf krachendes Regietheater als auf schlüssige Personenführung.

Der Gesang entschädigt dafür nur zum Teil. Yosemeh Adjei (Ezio) ist ein Altus mit bemerkenswerter Strahlkraft, aber auch zu fast schon teuflischen Registerwechseln fähig, in seinen virilen Tiefen wird aus Dr. Jekyll Mr. Hyde. Und Netta Or als Fulvia ist ein Schmerzensweib, dessen Organ nach oben hin mit Schärfen, Schrunden, Kratzern laboriert. Das ist nicht immer schön, doch irgendwie wahrhaftig. Rosa Bove singt den Kaiser wenig imperial, sie teilt sich ihre Rolle mit Witalij Kühne, einem stummen Eintänzer der Macht. In diesem Umfeld kann man stimmlich mit Solidität schon recht weit kommen: Das tut Hilke Andersen als kaiserliche Schwester. Dirigent Attilio Cremonesi lässt nach ein paar Wacklern zu Beginn das Kammerorchester Basel sehnig und stringent agieren. Und was macht der Regisseur am Schluss? Er nimmt das Happy End mit einem Achselzucken hin, mit kühlschrankkalter Ironie. Man kann sich einen Schnupfen dabei einfangen. "Und wenn sie nicht gestorben sind", schreibt jemand an die Wand. Das Bühnenpersonal streift seine schwarzen oder blutbesudelten Klamotten ab, zieht blütenweiße über. Nur der Panzer baumelt noch ins Bild. Doch wozu gibt es Trockennebel. Ab nach Hollywood, Herr Metastasio.

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