Man könne ihn nachts wecken, und er würde über seinen Beruf erzählen. Das glaubt man sofort. Harald Klute, Chefmaskenbildner am Nationaltheater Mannheim, zeigt Fotos, Arbeitsproben, erzählt aus 47 Jahren Theatererfahrung in ganz Deutschland, öffnet Türen, Schränke, Schubladen, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll, um das alles einigermaßen angemessen wiederzugeben.
Eins ist klar: Maskenbildnerei ist ein vielschichtiger Beruf; abwechslungsreich, kreativ, und man braucht viel Einfühlung. Zu Klutes Team gehören 20 Maskenbildnerinnen, die "Maske machen" - also alle denkbaren Veränderungen an Haut und Haar - als Handwerk gelernt haben. Daran ist Harald Klute nicht ganz unschuldig. Denn er hat mit viel langem Atem dafür gesorgt, dass - in Weiterführung der Initiative seines Vaters - Maskenbildner/in heute eine staatlich anerkannte Ausbildung ist.
Wunden und Brusttoupets
Hat er diese Langmut beim Perückenknüpfen gelernt? 40 bis 50 Stunden dauert es, bis mit 70 000 Knoten Haare auf eine Tüllmontur geknüpft sind: "Da kann man dann sehr stolz sein auf die Arbeit, die man gemacht hat." Und man merkt, Klute ist stolz auf sein Team. Perücken herstellen, schneiden, aufsetzen, historisch frisieren, abnehmen, reinigen, trocknen und reparieren ist das Eine. Dann gibt es Arbeiten, die ahnen lassen, dass man als Maskenbildnerin nicht zimperlich sein darf: blutende Wunden, Entstellungen, Körperteile oder auch mal Brusttoupets und Schamhaar. Alle Personen auf der Bühne waren vorher in der Maske; manche werden hinter der Bühne mit Blick auf die Stoppuhr umgeschminkt oder -frisiert: "Wir haben 30 neue Stücke im Jahr und 50 Wiederaufnahmen - da wissen Sie, was für eine Fabrik wir haben!" Sechstagewoche, Dienste abends und an Feiertagen: "Als Maskenbildner verkauft man sich mit Haut und Haar." Harald Klute liebt seinen Beruf.
Schminken stellt die natürlichen Licht- und Schatteneffekte im Gesicht wieder her, die im Bühnenlicht verloren gehen, und gibt "den Leuten Höhen und Tiefen, dass sie wieder wie normale Menschen aussehen". Höhen und Tiefen. Die machen Charaktere aus, und das ist für Harald Klute der Reiz an der Maske fürs Musiktheater. Wo der Orchestergraben Distanz zum Publikum schafft und Darsteller nach Stimmen ausgewählt werden, muss man Menschen so verändern können, dass sie glaubwürdig wirken. Tenöre jünger, Bässe älter schminken als sie sind, und auch: das Unschuldige, Hässliche oder Böse für die Dauer einer Vorstellung in ein Gesicht bannen. Dafür ein Talent zu haben - das grenzt dann schon fast an Kunst.
Die Vorgaben für die Maske kommen von den Kostümbildnern, die Art der Ausführung obliegt Klutes Team. Von der Herstellung bis zur Vorstellung ist jede Maskenbildnerin für bestimmte Darsteller zuständig, kennt das Gesicht und weiß, was "funktioniert", wie Klute gern sagt. Echt muss es aussehen. "Bloß keine naive Malerei!" Also keine Strichlein, sondern eine klare Charakterschminke.
Schön Geschminkte singen besser
Vor allem gilt das für die männlichen Parts. "Frauen sollen zu 85 Prozent immer gut aussehen." Das findet Klute nicht so spannend, aber er weiß, dass es hilft: "Wenn wir eine Sängerin schön schminken und sie fühlt sich auch richtig schön, dann singt sie garantiert besser." Das merken wir uns. Faszinierend ist, wie die Maske dem Darsteller helfen kann, gefühlsmäßig in seine Rolle zu kommen.
Das braucht gegenseitiges Vertrauen und passiert nicht immer. Aber, so erklärt Harald Klute: "Sie glauben gar nicht, wie viel man den Leuten mitgeben kann, damit sie auf der Bühne aus sich heraustreten können. Während wir schminken, wächst die Rolle allmählich auf den Darsteller zu, der da ein wenig hineinsteigt und das dann verkörpern kann. Es geht eine ganze Menge davon aus, dass ich weiß, wie ich aussehe. Wie man mich wahrnimmt. Wenn uns ein Darsteller sagt: Ich muss mich überhaupt nicht anstrengen, ich muss gar nicht spielen, ich sehe schon so aus - wenn er aufsteht und anders geht, anders spricht als zuvor: Dann haben wir die Maske richtig gemacht."
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