Geburtstag - Musikjournalist Peter Rüchel hat vor 40 Jahren begonnen, mit Live-Musiksendungen Fernsehgeschichte zu schreiben

Mister "Rockpalast" wird 80

Von 
Marcel Anders
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Engagierter Alt-Rocker: Peter Rüchel feiert heute seinen 80. Geburtstag.

© WDR/Thomas Brill

Das unauffällige Reihenhaus unterm Bayer-Kreuz hat etwas von einem Refugium. Und auch im Inneren weist nichts darauf hin, dass hier jemand wohnt, der sein berufliches Leben mit Jugendkultur und Rockmusik zugebracht hat - keine gerahmten Bilder mit befreundeten Musikern, keine Goldenen Schallplatten, signierte Instrumente oder sonstige Devotionalien. Nicht einmal Billy-Regale mit Schallplatten.

Stattdessen ist Peter Rüchels Arbeitszimmer überladen mit Büchern und Zeitschriften. Sortiert nach einem System, das nur er, der heute 80 Jahre alt wird, kennt. Und er sitzt gerne im Dunkeln, verwendet kaum Licht. Als der Verfasser dieser Zeilen am frühen Samstagnachmittag bei ihm in Leverkusen aufschlägt, ist es noch hell. Als er sich zweieinhalb Stunden später verabschiedet, stockdunkel.

Beruf als Berufung

Dazwischen gibt es Kaffee und Rüchel, der sein schneeweißes Haar immer noch schulterlang trägt, aber kein Althippie sein will, redet. Viel, ruhig, sachlich, druckreif. Fast so, als würde er seine Memoiren diktieren - und mit einem Gusto, als wäre er noch schwer aktiv. Irgendwie ist er das auch: "Der Rockpalast macht einen zentralen Teil meines Lebens aus. Das waren 40 Jahre, in denen ich pausenlos beschäftigt war. Und es war kein Muss, sondern entsprach absolut dem, was ich machen wollte. Ich habe mein Geld also mit dem verdient, was mir am Herzen lag."

Und das war, Live-Musik ins deutsche Fernsehen zu bringen. Zuerst mit einer wöchentlichen 30-Minuten-Sendung, die in den Räumlichkeiten des WDR in der Kölner Südstadt produziert wird, dann mit den sogenannten Rocknächten, die zwischen 1977 und 1986 zweimal jährlich in der Essener Grugahalle stattfinden, Open Air-Festivals auf der Loreley sowie Club-Konzerten in Hamburg, Berlin und Bochum, zu denen viele spannende Bands antreten.

Erinnerung an bessere Zeiten

Das alles organisiert er in einer knapp zehn Quadratmeter großen Schaltzentrale im siebten Stock des Kölner Vierscheibenhauses, die nicht selten einem Kriegsgebiet gleicht. "Alle paar Monate war das Büro mit LPs zugewachsen, und ich habe alles verschenkt, um da auch nur halbwegs arbeiten zu können." Zudem erinnert sich Rüchel an jedes Detail seiner Produktionen, erzählt mehr Anekdoten, als ein Sonderheft fassen könnte, und entwirft das Bild einer besseren Zeit. Mit einer familiären Atmosphäre, Künstlern zum Anfassen, korrekten Managements, einem Publikum, das sich auf stilistische Vielfalt einlässt, und einem Sender, der Rüchel freie Hand lässt.

Das ändert sich schlagartig, als das Privatfernsehen aufkommt, die Öffentlich-Rechtlichen plötzlich Konkurrenz haben und es um Quoten geht - die Rüchels Programm wegen seines Nischencharakters und nächtlichen Sendeplatzes natürlich nicht hat. "Da hieß es: ,Herr Rüchel, wie viel Marktanteil hatten sie denn?' Und ich: ,Dr. Struve, 100 Prozent - alle, für die Rockmusik ein Lebensmittel ist, haben zugeguckt.' Aber nach dem Misserfolg der 16. Rocknacht mit Ruben Blades und den Rodgau Monotones wurde mir gesagt: ,Herr Rüchel, ich setze ihre Sendung ab.'" Für den Musikfan ein Schock, von dem er sich nie richtig erholt - selbst wenn der "Rockpalast" Jahre später ein zartes Comeback mit Veranstaltungen auf der Loreley, in der Düsseldorfer Philipshalle und Übertragungen des Bizarre Festivals erlebt.

Für den gebürtigen Berliner ist es nicht dasselbe. 2003 -mit 65 - räumt er seinen Stuhl mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Er hat Pionierarbeit geleistet, aber die moderne Fernsehwelt ist eine andere. Seitdem überwacht er - im Auftrag des WDR - die Sichtung des "Rockpalast"-Archivs für DVD-Veröffentlichungen, hat seine Autobiografie geschrieben und ist regelmäßig mit den 78 Twins aus Essen unterwegs. Einer Coverband, die seine Lesungen mit Coverversionen seiner Lieblingskünstler verfeinert.

Aktuelle Musik hört er dagegen kaum noch, besucht lieber Veranstaltungen lokaler Künstler in Leverkusen und hat nur noch Kontakt zu Springsteen-Gitarrist Little Steven und Billy Gibbons von ZZ Top. Im Juli, so hofft er, widmet ihm der WDR eine Dokumentation aus Anlass des 40. Jubiläums der ersten Rocknacht, die 1977 mit Roger McGuinn, Rory Gallagher und Little Feat über die Bühne ging. Ob er dann das legendäre "tschörmän telewischen prautli prisents" (Das deutsche Fernsehen präsentiert voller Stolz) endlich einmal selbst verkündet, bleibt sein Geheimnis. Immerhin: "Ich habe es erfunden", lacht er - und sucht den Lichtschalter. Es ist Nacht in Leverkusen und Rüchel hat fertig. Zumindest für heute.

Peter Rüchel

  • Peter Rüchel, geboren am 9. März 1937 in Berlin, wuchs in West-Berlin auf. Er studierte dort Germanistik und Philosophie. Von 1968 -1970 arbeitete er beim Sender Freies Berlin 1970 holte ihn das ZDF für sein Jugendprogramm.
  • 1974 wechselte er zum WDR und wurde Leiter des Jugendprogramms. Am 23. Juli 1977 wurde die erste "Rockpalast"-Nacht aus der Essener Grugahalle mit Roger McGuinn, Rory Gallagher und Little Feat gesendet
  • Bis 1986 lief die Reihe, die trotz Stars wie The Who, Prince oder Pattie Smith kein Quotenrenner war. 1995 kam der "Rockpalast" wieder zurück ins Programm.
  • 2003 ging Rüchel in den Ruhestand. Er ediert seither "Rockpalast"-DVD-Veröffentlichungen. (gespi)

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