In seinem im Emons Verlag veröffentlichten Buch „Tausend Meilen weites Land“ nimmt sich Meinrad Braun den „Wilden Westen“ Amerikas vor. Das ist für den 1953 in Ulm geborenen und heute in Mannheim lebenden Schriftsteller insofern nicht verwunderlich, da er unter anderem Völkerkunde und Paläoanthropologie studiert hat. Schon in seinem vorherigen, fünfhundertseitigen Werk „Gabun“ erkundete er die exotische Welt Afrikas. In „Tausend Meilen weites Land“ lässt er in atemberaubender Weise eine Reihe dramatischer Geschehnisse vor den Augen des Lesers vorüberziehen, breitet Räume längst vergangener Zeiten aus, turbulente Geschehnisse und Landschaften, die vom Schwarzwald zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Nordamerika reichen.
Spannende Abenteuer voller überraschender Wendungen, virtuos erzählt, halten den Leser bis zum Schluss in Atem. Im Verlauf der breit angelegten Handlung nimmt der Autor immer wieder dunkle Gestalten in den Blick, Massaker an den Indigenen, rigorose Ausbeutung der Natur, die gesamte auf Gewalt beruhende Entwicklung der USA, mit Auswirkungen bis heute.
Im Zentrum dieses historischen Westerns steht die Figur des jungen Gregor Schoenheit, eines intelligenten, praktisch denkenden Jungen, der um 1820 im Schwarzwald bei seiner alleinerziehenden Mutter aufwächst. Diese bestreitet den kargen Lebensunterhalt mit Bemalen von Uhrenschildern. Sein Vater, der Jude war, ist in der Völkerschlacht von Leipzig 1813 gefallen. Im Angesicht von Armut und Not, aber auch als Vertreter der ersten Generation, die Schreiben und Rechnen gelernt hat, träumt Gregor davon, Uhrmacher zu werden. Vorbild ist ihm ein alter Mann, der ihm eine spezielle Art des schnellen Rechnens beibringt.
Als Zehnjähriger begleitet er einen Uhrenträger zu den Bauernstuben, wird danach Schreiber in einer Weberei und verliebt sich in die Tochter des Fabrikdirektors. Erbost darüber, demütigt er den Jungen so sehr, dass dieser sich rächt und fluchtartig die Heimat verlassen muss. Unter den Namen Greg Schoner besteigt er ein Schiff Richtung USA. Wegen seiner Rechenfähigkeit wird er schon auf dem Schiff Assistent eines Berufsspielers, später Büchsenmacher in St. Louis, Wagenschmied in Bent’s Fort und Treckführer auf dem Santa-Fe-Trail.
Er heiratet schließlich eine Cheyenne, gerät 1862 als Captain der US-Kavallerie in die Schlacht von Shiloh, die er, schwer verletzt, mit amputiertem Bein, überlebt. Gregors Traum von der Uhrenfabrik erfüllt sich zwar nicht, aber sein Talent setzt er dafür ein, Beinprothesen für die zahlreichen Amputierten des Bürgerkrieges herzustellen. Das Buch kann auch als ein „Coming of Age“-Roman gelesen werden. Darin porträtiert der Autor einen Heranwachsenden, der sich nicht in die Zuschreibungen anderer eingrenzen lässt, dem aber die Ungewissheit der eigenen Identität als Jude schon früh schmerzlich bewusst wird. Darüber hinaus aber schont Meinrad Braun seine Figur nicht, er zeigt sie in ihren vielen Schwächen und Nöten wie auch in den raren glücklichen Momenten. Gerade daraus gewinnt die Lektüre ihre Überzeugungskraft.
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