Mannheim. In der Popszene herrscht kein Mangel an starken Frauen: Adele, Pink, Billie Eilish, Taylor Swift, Ariana Grande. Ihre Erfolge vermitteln den Eindruck, weibliche Stars seien im Musikgeschäft bestens repräsentiert. Die Wahrheit aber sieht ganz anders aus: Frauen sind bei weitem nicht so präsent wie Männer.
Dieser Missstand hat die Mannheimer Popakademiestudentin Laura Lato auf den Plan gerufen. Die Sängerin und Songschreiberin hat dazu eine Masterarbeit geschrieben, in der sie die Benachteiligung von Frauen dokumentiert. Und dies mit Zahlen untermauert. So zeigt die Auswertung der Jahres-Charts des US-Magazins „Billboard“ von 2012 bis 2020, dass sich bei den „Hot 100“ der Anteil von Frauen zwischen 28,1 (2016) und 20,2 Prozent (2020) bewegt. Und von 51 Bands waren nur zwei weiblich und auch nur 25 Prozent geschlechtlich gemischt.
Musikerinnen unterrepräsentiert
Die Unterrepräsentierung setzt sich auf der Bühne fort: Bei US-Festivals lag 2018 der Anteil von Musikerinnen bei 14 Prozent. In Deutschland sieht es noch viel schlimmer aus: Bei „Rock am Ring“ liegt die Frauenquote bei gerade mal vier Prozent. Die Benachteiligung ist auch am unterschiedlichen Einkommen ersichtlich: Laut Deutschem Musikrat lag das durchschnittliche Jahreseinkommen von Musikerinnen, die bei der Künstlersozialkasse versichert sind, bei 11 234 Euro, männliche Kollegen verdienten im Schnitt fast 3000 Euro mehr.
Also Gründe genug für Laura Lato, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. „Ich wollte herausfinden, woran es liegt, dass weiblich gelesene Menschen im Musikbusiness nicht so sichtbar sind, und was man tun kann, um das zu ändern“, sagt sie im Gespräch mit dieser Redaktion. „Wie jede Frau im Musikbusiness“ habe auch sie erlebt, dass Männer sie zum Beispiel herablassend behandelten und ihr Kompetenz absprachen.
Männer in Schlüsselpositionen
Um weiteren Aufschluss über die Benachteiligung von Frauen zu erhalten, hat Lato acht Fachleute befragt: eine Produzentin, eine Schlagzeugerin, einen Festivalorganisator, einen A&R (Artist & Repertoire)-Manager, der bei einem Major Label für die Verpflichtung neuer Künstler(innen) zuständig ist, eine Produktmanagerin, eine Songwriterin, eine Radiomoderatorin und eine führende Mitarbeiterin der Initiative Keychange, die sich für die Gleichberechtigung unterrepräsentierter Geschlechter einsetzt.
Ein Hauptproblem der systematischen Benachteiligung liege darin, sagt die Popakademikerin, dass alle wichtigen Stellen im Musikgeschäft eine klassische Männerdomäne seien. Und diese Männer, meist aus der älteren Generation, seien noch von veralteten Geschlechtervorstellungen geprägt. Auch das ist mit Zahlen zu belegen. „Von 198 Produzenten und Produzentinnen in Deutschland waren nur zwei Prozent im Jahr 2019 Frauen“, berichtet Lato. Laut dem Internetportal soundkartell.de waren 2016 nur 7,4 Prozent der Führungskräfte in der deutschen Musikbranche weiblich.
Dadurch gebe es keine weiblichen Vorbilder im Business für junge Frauen - „das Problem setzt sich also immer weiter fort“, kritisiert Lato. Eine Folge sei etwa das „Männer buchen Männer“-Phänomen; „das funktioniert seit jeher so“, sagt Lato. Sie berichtet, dass einer ihrer Gesprächspartner „als privilegierter weißer Mann“ die Missstände im Gegensatz zu weiblichen oder queeren Interviewteilnehmern am wenigsten erkannt habe, obwohl er sich in einer leitenden Position befinde.
Forderung nach Quote
Die „Gatekeeper“, die Schleusenwärter und Entscheidungsträger im Musikbusiness, hätten eine zentrale Bedeutung. Dazu zählen auch die Chefredaktionen von Musikmagazinen oder Redaktionsleiter von Radiosendern, „auch diese Bereiche sind männlich geprägt“. Gerade diese „Gatekeeper“ müssten ihr Verhalten ändern und Musikerinnen verstärkt fördern. „Ein Label-Chef könnte ja sagen: Wir versuchen, neue Acts paritätisch unter Vertrag zu nehmen. Es geht einfach darum, nach guten Künstlerinnen zu suchen“, fordert Lato. Sie verweist darauf, dass sich seit dem Jahr 2000 unter den Interpreten der deutschen Single-Charts durchschnittlich nur 25 Prozent Frauen befinden.
Wie kann man das ändern? Lato hält eine Frauen-Quote bei der Besetzung von Leitungspositionen in der Musikbranche für unerlässlich: „Die Quote ist nötig, um sie eines Tages nicht mehr haben zu müssen.“ Unternehmen müssten sich zum „Keychange“ verpflichten und den Frauenanteil drastisch erhöhen (wie dies etwa das Enjoy-Jazz-Festival seit einigen Jahren praktiziert).
Veraltete Rollenklischees
Für die Popakademie-Studentin ist auch wichtig, „die Sichtbarkeit von Frauen in der Musikbranche zu steigern“. Dazu zählt für sie der Aufbau von weiblichen Netzwerken („Männer sind bislang noch viel besser vernetzt als Frauen“) und nicht zuletzt auch die Verwendung einer genderbewussten Sprache. Und, ja, das Problem beginne schon bei der Erziehung, der Weitergabe traditioneller, veralteter Rollenklischees. „Es kann nicht sein, dass heute noch im Schulunterricht Instrumente wie Blockflöte, Geige und Klarinette weiblich konnotiert sind und Männer Gitarre oder Schlagzeug spielen.“ Das müsse sich ändern - damit künftig noch mehr Frauen ins Rampenlicht treten.
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