Mannheim. Auf dem Weg zur Sports Arena am Franklin Field, wo die erste Folge der Theaterperformance „4 Jahreszeiten“ des Mannheimer Stadtensembles spielt, kann man sich leicht verfahren. Ich lande nahe der Franklin Klinik mit dem Auto vor einer Toreinfahrt und blicke auf ein riesiges Areal mit unzähligen Gebäuden von gleicher Architektur.
Es ist keine Frage, dass es sich hier um die Wohngebäude ehemaliger US-Streitkräfte handelt. Aber wo liegt das neue Stadtquartier vom Benjamin Franklin Village, das im Sprachjargon Mannheims kurz und knapp „Franklin“ genannt wird? Da eine Gruppe von Kindern direkt vor dem offenen Tor spielt, kann man fragen. Ich bekomme die Aufmerksamkeit der Kinder, aber sie sprechen meine Sprache nicht. Nur ein größeres Mädchen sagt mir, sie alle seien aus der Ukraine.
Sinnbild für die Ortsbegehung
Dankend fahre ich weiter und komme in einem großen Bogen um das Areal auf die andere Seite. Hier ist Franklin, das neu geschaffene und immer noch im Werden begriffene Quartier in Mannheimer Stadtrandlage. Ein riesiges Gelände, das die alten und sanierten Wohngebäude der US-Amerikaner kombiniert mit neu gebauten Reihen von kubusförmigen mehrstöckigen Wohngebäuden. Ein Areal so groß etwa wie die Innenstadt der Rhein-Neckar-Metropole Mannheim.
Rechts vom denkmalgeschützten Gebäude der Sports Arena sind genügend Parkplätze. Man blickt von dort auf einen mit Holz vertäfelten flachgezogenen Bungalow, der im Garten einen riesigen Outdoor-Kletterturm beherbergt. Auf dem Schild am Boden vor der Haustür gibt sich der Deutsche Alpenverein zu erkennen. Wer das Klettern aber erst erlernen will, geht in die Sports Arena, dem Boulderhaus Mannheim. Und vielleicht ist das Klettern, das sich hier so gut praktizieren lässt, auch das spannungsreiche Sinnbild für eine performative Ortsbegehung: nach oben hinauf und wieder hinunter, mal ist es schwierig, mal leichter, bald sind Wege unüberwindbar, bald vielleicht überstanden.
Für das Mannheimer Stadtensemble, das seit 2018 die Bürgerbühne am Nationaltheater fortsetzt, beginnt die erste Folge des Projekts „4 Jahreszeiten“ mit dem Herbst. Unter der künstlerischen Leitung von Beata Anna Schmutz versammeln sich die Performer und die Zuschauer auf dem Franklin Field vor der Sports Arena. Hier haben die Künstler einen raffinierten Treffpunkt gestaltet, der sich als Kasse, Getränkebar und Kunstobjekt zugleich präsentiert.
Assoziative Sätze
Auf einer fahrbaren Pritsche steht ein Kasten mit Schubladen und Fensterrahmen aus Holz. Ausgezogen verwandeln sich die Schubladen in Tische. Im Kasten sieht man durch das Plexiglas eine schlafende Katze. Unter ihr kauert ein Mensch. Auf den Tischen werden Getränke und Kopfhörer ausgegeben. Noch sitzen die Zuschauer auf einfachen Hockern und lauschen den assoziativen Sätzen der Performer.
Es geht um Wildgänse, die im Herbst von ihren sibirischen Brutgebieten zu uns nach Deutschland kommen. Auf weitläufigen Wiesen, die auch das Franklin Field zu bieten hat, futtern die Tiere den Winter über bis zu ihrer Rückkehr. Es geht um Türen, die sich öffnen, um Stille, Licht, Blätter und um Katzen.
Dazu spielt die Musikerin Laila Mahmoud auf der orientalischen Kastenzither Kanun eine Melodie, die der älteren Generation sofort vertraut ist. „Tränen lügen nicht“ (1970) von Michael Holm passt als reine Schlagermelodie sehr gut zu den melancholischen Splittern der Erzählung. Tränen, die nicht lügen werden auf dem folgenden Parcours der Performance zur Metapher für Schmerz und Trauer, für Abschied und Ankunft, für Verlust und Ungewissheit.
Freude an den Nachkommen?
Mit den Kopfhörern am Ohr verwandelt sich die Performance in eine aktive Ortsbegehung mit Hörspielcharakter. „Was ist dein Heim, wenn alles um dich herum verschwunden ist?“, fragt eine Erzählerin und verweist auf die unzähligen Katzen, die auf dem Gelände nach Abzug der US-Amerikaner zurückgeblieben sind.
Kunstvoll setzt die Erzählung jene verlassenen Tiere ein, stellvertretend für alle Wesen, die hier leben und gelebt haben, die gekommen und gegangen sind und die hier in Zukunft leben werden. Und vielleicht können sich die ukrainischen Kinder auf der anderen Seite von Franklin an den Nachkommen dieser Katzen erfreuen.
„4 Jahreszeiten. Herbst“
- Mit der Jahreszeit Herbst hat das Mannheimer Stadtensemble seine erste Folge der vierteiligen Performance-Reihe auf Franklin zur Premiere gebracht.
- Auch alle weiteren Folgen – Winter, Frühling und Sommer – werden sich mit dem neu entstehenden Stadtteil auf dem Benjamin Franklin Areal auseinandersetzen. Der Ort wird zugleich während der Generalsanierung des Nationaltheaters der Schauspielsparte ein Zuhause bieten. Ein Grund mehr für das an die Sparte angegliederte Stadtensemble und seine künstlerische Leiterin Beata Anna Schmutz hier künstlerisch zu forschen.
- Dabei liegen der Regisseurin und ihrem Team die Zusammenarbeit mit Menschen vor Ort am Herzen. Am 10. Dezember folgt auf Franklin „4 Jahreszeiten. Winter“.
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