„Es wird so lang, aber ich habe solche Lust“, stellte Sasa Stanisic irgendwann fest. Da war der Abend mit dem Autor des biografischen Romans „Herkunft“, der aus seinem 2019 mit dem Deutschen Buchpreis prämierten Werk las, schon fortgeschritten. Das Publikum im Schauspielhaus des Nationaltheaters aber hing nach wie vor an den Lippen des 43-Jährigen und zeigte keine Spur von Langeweile.
Zunächst noch mit einem Auge auf seinem Mobiltelefon den Stand des Zweitliga-Spiels zwischen dem HSV und St. Pauli verfolgend, las sich der in Visegrad im ehemaligen Jugoslawien Geborene, der heute in Hamburg lebt, immer mehr in Fahrt. Handys gab es 1991 nicht. Es war kurz bevor er mit seiner Mutter nach Heidelberg flüchtete. Der Vater folgte ein halbes Jahr später nach. Mit seinem rot-weißen Schal um den Nacken hatte Stanisic das Rückspiel von „Roter Stern Belgrad“ im Halbfinale des Europapokals der Landesmeister gegen den „FC Bayern München“ live miterlebt. Der „Rote Stern“, das war seine Mannschaft. Er hätte alles gegeben, um seinen Helden mit den „krummen Beinen“ nahe zu sein. Als Physiotherapeut, Ballwart oder, wenn nötig, sogar als Fußball selbst. Ein letztes Mal demonstrierte der Vielvölkerstaat bei dem Pokalspiel Einigkeit. Denn „der Sozialismus war müde, der Nationalismus war wach“, so der Sohn eines Serben und einer Bosnierin.
Begnadeter Geschichtenerzähler
Wehmut flackerte auf, als Sasa Stanisic liebevoll von der alten Heimat sprach. Doch überwog der Humor. Wortspielereien und -neuschöpfungen wie der „Englischlehrerinnenkuchen“ machen Stanisics Werke zu einem poetischen Genuss. Wie auch ein noch unveröffentlichter Text. Darin hat der Autor jeden Morgen ein Stelldichein mit einem weiß-blau lackierten Korbstuhl. In einem Hamburger Innenhof, zu dem es, dem ersten Anschein nach, keinen Zugang gibt, fristet dieser ein trostloses Dasein.
Stanisic sei ein begnadeter Geschichtenerzähler, befand Intendant Christian Holtzhauer zurecht, wobei seine Gespräche mit dem Schriftsteller zwischen den Lesungen etwas zu lang gerieten.
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