Das Interview - Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger über Informationen, die nur noch mit Hilfe von Suchmaschinen und sozialen Medien fließen

Leben in Filterblasen und Echokammern

Von 
Tilmann P. Gangloff
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Fürchtet, dass die amerikanischen Verhältnisse ein Vorbote dessen sind, was auch uns erwartet: Wolfgang Schweiger.

© Mann

Führen die viel gescholtenen und dennoch massenhaft benutzten sozialen Medien zu einseitiger Pseudo-Informiertheit von Bürgern? Verstärken sie den Polarisierungsprozess in der Gesellschaft? Darüber hat Wolfgang Schweiger ein Buch geschrieben - wir fragen ihn nach seinen Forschungsergebnissen.

Noch nie hatten die Menschen Zugang zu so viel Information wie heute. Trotzdem sagen Sie, viele Menschen seien nicht nur uninformiert, sondern auch falsch, also desinformiert. Warum ist das so?

Wolfgang Schweiger: Der Informationskosmos im Internet ist nicht nur riesig, sondern auch völlig unübersichtlich. In den Ergebnislisten von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken wie Facebook stehen alle Treffer gleichberechtigt nebeneinander. Es fällt vielen Menschen sehr schwer zu differenzieren, ob eine Information aus einer verlässlichen journalistischen Quelle stammt, oder ob sie von obskuren Verschwörungstheoretikern in die Welt gesetzt worden ist. Früher hat man das meist an der dilettantischen Gestaltung alternativer Medien erkannt, aber heute sehen auch die professionell aus.

Diese alternativen Medien verbreiten gern, Medien, Politik und Wirtschaft steckten unter einer Decke. Gab es nicht schon immer ein Misstrauen gegenüber "denen da oben"?

Schweiger: Zunächst mal muss es natürlich Beziehungen und ein gewisses gegenseitiges Vertrauen zwischen Journalisten auf der einen sowie Politikern und Wirtschaftsvertretern auf der anderen Seite geben, sonst wären zum Beispiel Interviews nicht möglich. Das heißt jedoch nicht automatisch, dass die Medien stets freundlich berichten, im Gegenteil. Aber diese Verbindungen zwischen Journalisten und Politikern werden einem Teil der deutschen Bevölkerung erst jetzt richtig bewusst. In bestimmten Milieus ist deshalb in den letzten Jahren ein extremes Misstrauen entstanden, das durch die verschiedenen Krisen - von der Bankenrettung bis hin zur Flüchtlingsproblematik - vertieft worden ist.

Sie bezeichnen diese Milieus als die politische Bildungsmitte. Warum sind solche Menschen, nach Ihrer Schätzung elf Millionen, besonders anfällig für Desinformation?

Schweiger: Weil viele weder die politische Kompetenz noch die Medienkompetenz mitbringen, die nötig wäre, um die Fülle und Vielfalt an Informationen, die das Internet bietet, wirklich beurteilen zu können. Sie sind überfordert, wenn es darum geht, "Fake News" zu erkennen und komplexe Sachverhalte richtig einzuschätzen. Ihre Informationsquellen waren früher die "Bild"-Zeitung und "RTL aktuell"; die klassischen journalistischen Qualitätsmarken sind ihnen häufig gar nicht geläufig. Deshalb sind sie anfällig dafür, Populisten auf den Leim zu gehen.

In diesem Zusammenhang spielen "Filterblasen" und "Echokammern" eine wichtige Rolle. Was ist das und worin unterscheiden sie sich eigentlich?

Schweiger: Jeder Mensch neigt dazu, Medieninhalte zu bevorzugen, die seinen Einstellungen und Interessen entsprechen; das war schon immer so. Die Algorithmen in den Suchmaschinen und sozialen Netzwerken sind so gestrickt, dass sie dies berücksichtigen und verstärken. Wer einmal bei Facebook bei einer bestimmten alternativen Nachrichtenseite "gefällt mir" angeklickt hat, dem werden die entsprechenden Informationen automatisch immer wieder angezeigt. Je öfter man das tut, desto enger wird der Kosmos.

Und die "Echokammer"?

Schweiger: Dieses Phänomen resultiert aus der Filterblase: Die Nutzer merken irgendwann gar nicht mehr, dass sie einseitig informiert werden. Sie sind überwiegend mit Facebook-Nutzern "befreundet", die ähnlich denken wie sie. Das führt dazu, dass sie ihre Meinung immer drastischer äußern, auch weil sie sich damit vor den anderen profilieren können. Die "Bewohner" der Echokammer schaukeln sich gegenseitig hoch, die Hasskommentare werden immer krasser, wie sich bei vielen rechtsalternativen Medien beobachten lässt. Die Wahl Donald Trumps und die seit Jahren in Amerika zu beobachtende Polarisierung der Bevölkerung ist ein klarer Beleg für meine Thesen.

Drohen uns solche Verhältnisse?

Schweiger: In den USA haben parteiische Medien wie beispielsweise der konservative TV-Sender Fox eine viel längere Tradition als bei uns und auch eine deutlich größere Reichweite. Auf der anderen Seite sind die Qualitätsmedien dort viel schwächer als hierzulande. Für viele Menschen stellen die sozialen Netzwerke neben dem Fernsehen die einzige Informationsquelle dar. Aber ich fürchte, die jetzigen amerikanischen Verhältnisse sind trotzdem ein Vorbote dessen, was auch uns erwartet.

Ein alter Vorwurf lautet, die Berichterstattung der klassischen Medien sei insgesamt zu negativ. Sollen Zeitungen und Fernsehsender die Politiker öfter loben?

Schweiger: Nein, sie sollen auch weiterhin in erster Linie über Missstände berichten. Leser und Zuschauer interessieren sich ohnehin viel stärker für negative Nachrichten. Alles, was gut funktioniert, bedarf ja keiner Veränderung. Gerade beim Boulevardjournalismus würde ich mir aber wünschen, dass auch die Komplexität politischer Prozesse etwas mehr dargestellt wird. Vor allem "Bild" vermittelt vielen Menschen das Gefühl, die Politiker würden ihre Bedürfnisse ignorieren und der Staat sei der Gegner der Bürger. Das ist totaler Unsinn. Es sollte viel deutlicher zum Ausdruck kommen, dass es zu jedem Thema unzählige einander widersprechende Positionen gibt und Politik oft das Resultat zäh ausgehandelter Kompromisse ist.

Wolfgang Schweiger

Wolfgang Schweiger: Der Wissenschaftler ist Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft der Stuttgarter Universität Hohenheim und beschäftigt sich dort unter anderem mit dem Thema Medienwandel und Social Media. In seinem Buch "Der (des)informierte Bürger im Netz. Wie soziale Medien die Meinungsbildung verändern" beschreibt Schweiger, welche Folgen es hat, wenn sich Menschen ihr Informationsbedürfnis nur noch mit Hilfe von Suchmaschinen und sozialen Medien stillen.

Schweigers Buch "Der (des)informierte Bürger im Netz: Wie soziale Medien die Meinungsbildung verändern" ist bei Springer in Heidelberg erschienen, hat 214 Seiten und kostet 19,99 Euro. dms

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