Lauterbach. Die Nachricht kommt plötzlich, unerwartet, schmerzvoll. Die Musikjournalistin und Fotografin Sibylle Zerr, die drei Jahrzehnte lang in der Rhein-Neckar-Region aktiv war, ist tot. Sie starb am Silvestertag 2024 zu Hause im badischen Lauterbach im Alter von 60 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung.
Das hat am Dienstag der Freiburger Jazzveranstalter Frank Kleinschmidt mitgeteilt, der mit Zerr zusammengearbeitet hat. Noch im Sommer waren beide in New York, um bei Plattenaufnahmen des Sun Ra Arkestra dabei zu sein, die im November unter dem Titel „Lights On A Satellite“ auf Kleinschmidts Label In+Out Records erschienen sind. Zerr hat für das Album den Covertext geschrieben, Fotos gemacht und das Design entworfen.
Durch eine Dokumentation dieses außergewöhnlichen afroamerikanischen Jazzorchesters ist sie auch international bekannt geworden. 2011 veröffentlichte sie ihren Foto- und Textband „Picture Infinity“, in dem sie Einblicke in das Innenleben der Big Band gibt, die seit dem Tod des Bandgründers Sun Ra 1993 von dem heute 100-jährigen Saxofonisten Marshall Allen geleitet wird. Zerr gelang es – als einzige Medienschaffende weltweit – Zugang zum Arkestra zu bekommen, das eigentlich eher verschlossen in Erscheinung tritt. Doch durch ihre Empathie, Offenheit und Sensibilität gewann sie das Vertrauen des Orchesters, das sie auf vielen Tourneen begleitete, bei ihren USA-Aufenthalten durfte sie sogar im Arkestra-Haus in Philadelphia wohnen.
Ihr wacher Blick und die Aufgeschlossenheit für Neues waren wohl schon der Beweggrund für das Studium der Ethnologie (außerdem Kunstgeschichte und Soziologie), das sie in den 1980ern nach Heidelberg führte. Sie wurde wissenschaftliche Assistentin des Institutsleiters Richard Burghardt, der 1994 überraschend verstarb. Danach war Zerr, die lange Zeit in Edingen-Neckarhausen lebte, als freie Journalistin und PR-Beraterin tätig. Sie schrieb unter anderem für das Fachmagazin „Jazzthetik“, die „taz“ und „Die Welt“.
2004 reiste sie im Auftrag des Weinheimer „Muddy’s Club“ zum Jazz- and Heritage-Festival nach New Orleans. Dort traf sie Musikgrößen wie Allen Toussaint, Henry Butler oder Trombone Shorty und verarbeitete ihre Eindrücke 2006 zu dem Buch „Blues für einen Schmetterling: Begegnungen in New Orleans“. 2007 veröffentlichte sie „Mannheim – Weltstadt“, ein ungewöhnliches, sehr persönliches Porträt der Quadratestadt und ihrer multi-ethnischen Bevölkerung.
Vor der Corona-Pandemie kehrte Zerr zurück in ihre Schwarzwälder Heimat. Sie heiratete, zog aufs Land und entdeckte die Naturfotografie als neues Sujet. Im Eigenverlag veröffentlichte sie eine Vielzahl von Büchern und Kalendern, in denen sie sich in Wort und Bild mit Insekten, Blumen und Blattformen befasste. Immer mit diesem offenen, aufnahmebereiten Blick und dem Verlangen nach dem Verstehen der Welt. Welch ein Verlust ist ihr Tod.
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