Lesen.Hören - Angela Steidele liest aus Anne-Lister-Biografie

Kraftvolle Donna Juan

Von 
Simone Sohl
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Schon der Titel der Veranstaltung ist überraschend, ja provokant: „Das Fötzchen und die Freiheit“ steht auf den Karten für den Abend mit Angela Steidele. Was die vornehmlich weiblichen Besucher des Mannheimer Literaturfestivals Lesen.Hören 12 erwartet, ist ein Einblick in Steideles „erotische Biografie“ über Anne Lister, eine Art lesbische Donna Juan im England des 19. Jahrhunderts.

Lister, die sich über weibliche Rollenzuweisungen hinwegsetzte und eine Frau nach der anderen verführte, hielt all ihre Begegnungen in Tagebüchern fest – in einer Deutlichkeit, die ihresgleichen sucht. Keine leichte Aufgabe für die Übersetzerin: „Queer“, Listers Wortschöpfung für die Vulva, wird bei Steidele zum titelgebenden „Fötzchen“ – eine Verniedlichung des obszönen Begriffs, die schon Goethe verwendete. Im Gespräch mit Moderatorin Bettina Böttinger betont die Autorin, die mit ihren weiblichen Biografien gegen die Geschichtslosigkeit von Frauen ankämpft: „Anne Lister empfand ihr Verhalten als natürlich und hatte nie Selbstzweifel. Das gab ihr eine unglaubliche Kraft“ – und so konnte sie sich über anonyme Briefe und Diffamierungen hinwegsetzen.

Für ihre erotische Biografie musste Steidele stark filtern. Lister schrieb in ihren umfangreichen Tagebüchern jedes Detail aus ihrem Alltag nieder. Steidele pickt jedoch nur das heraus, was die Landadlige bis heute so einzigartig macht: die Dokumentation ihrer sexuellen Eroberungen.

Doch Anne Lister war nicht nur mutig und frei, sie war auch von hierarchischem Denken bestimmt und verstand sich bestens auf Manipulation. „Anfangs bin ich ihr verfallen, am Ende hat sie mich enttäuscht“, sagt Steidele – eine Erfahrung, die wohl auch Listers Frauen machten.

Freie Autorin Freie Journalistin und Fotografin

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