Interview

Kraftklub-Sänger: „Ich will etwas zu erzählen haben, das neu ist“

Trotz fünfjähriger Pause und dem Solo-Rap-Album „Kiox“ von Frontmann Felix Kummer rocken die Rabauken von Kraftklub auf ihrem vierten Album „Kargo“ so ungestüm wie eh und je. Wir haben uns mit Kummer über Dilettantismus, Nazis und Tokio Hotel unterhalten

Von 
Steffen Rüth
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Die fünfköpfige Rap-Rock-Band aus Chemnitz gibt es seit 2009. Die Musiker setzen sich unter anderem gegen Rechtsextremismus und Analphabetismus ein. © Philipp Gladsome

Mannheim.

Herr Kummer, der erste Song auf „Kargo“ heißt „Teil dieser Band“ und klingt schwer nach Koketterie und Understatement. Der Text erweckt den Eindruck, als könntet ihr selbst kaum glauben, seit zehn Jahren eine verdammt erfolgreiche Rockband zu sein.

Felix Brummer: Das ist kein Understatement, sondern die krasse, bittere Wahrheit (lacht). Wir alle sind Dilettanten. Niemand von uns hat ein Musikstudium, und in Chemnitz haben wir einen großen Freundeskreis von Musikerinnen und Musikern, die beileibe nicht alle berühmt geworden sind.

Ihr seid mit den Toten Hosen befreundet. Die prahlen seit 40 Jahren damit, keine Instrumente spielen zu können.

Brummer: Bei den Hosen ist das noch offensichtlicher, da sie aus dem Punkrock kommen. Nichts zu können, gilt dort quasi als Zugangsberechtigung. Als die Hosen anfingen, haben alle, die Gitarre spielen konnten, Heavy Metal gemacht. Und alle anderen Punkmusik.

Die Band Kraftklub

  • 2009 gründeten Felix Kummer (Künstlername Brummer; Sprechgesang, Texte), sein Bruder Till (Bass), Karl Schumann (Rhythmusgitarre, Gesang), Steffen Tidde (Leadgitarre, Keyboard) und Max Marschk (Drums) in Chemnitz die Band Kraftklub.
  • 2010 erschien die erste EP „Adonis Maximus“, 2011 folgte ein Vertrag bei Universal. Das Debütalbum „Mit K“ erreichte 2012 Platz eins der Charts, wie auch der Nachfolger „In Schwarz“ (2014).

„Kargo“ ist euer viertes Album und knallt so mitreißend wie eh und je. Ist es überhaupt euer Anspruch, im klassischen Sinne bessere Musiker zu werden?

Brummer: Nein. Unser Anspruch ist, dass die neuen Songs zu den Highlights unserer Konzerte gehören. Umgekehrt würde ich mich ärgern, wenn ich merke, dass wir langsam zu unserer eigenen Coverband würden. Ich will etwas zu erzählen haben, das neu ist.

Man hört den neuen Songs nicht an, dass ihr seit zehn Jahren dabei seid. In „Ein Song reicht“ thematisiert ihr die Nostalgie allerdings selbst und schwärmt von den Anfangszeiten auf Festivals.

Brummer: Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass ich anfange, meine Jugend zu rekapitulieren.

Mit 33?

Brummer: Ich habe mich auch gefragt, woher dieser Wunsch kommt. Vielleicht, weil ich bei meiner Soloplatte gemerkt habe, dass ich mich nicht in die Rolle eines Erzählers hineinversetzen und mir Figuren ausdenken muss. Sondern dass es in Ordnung ist, von mir zu erzählen. Aber dann wird mir auch wichtiger, dass die Leute verstehen, wo meine persönlichen Geschichten herkommen – und wo ich selbst herkomme.

So wie in „Wittenberg ist nicht Paris“. Der Song handelt von Leuten, die in ihrem westdeutschen Designermöbelläden-Kiez das Wahlergebnis der Grünen feiern, während Leute, die im Osten geblieben sind, sich immer noch vor den Nazis in den Büschen verstecken.

Brummer: Ich habe das Stück aus der Beobachtung heraus geschrieben, dass wir jetzt in einem Alter sind, in dem die Unterschiede wieder sichtbarer und relevanter werden. Während der Studienzeit merkte man kaum einen Unterschied zwischen Ost und West, aber nun ist plötzlich wieder relevant, was die Eltern für einen Background haben oder ob vielleicht eine Erbschaft gemacht wurde. Es ist eben doch ein Unterschied, ob deine Großeltern mal eine Eigentumswohnung gekauft haben, in der du dich jetzt breitmachen kannst – oder nicht. Und die Menschen in Ostdeutschland hatten größtenteils keine Gelegenheit, Vermögen zu bilden.

Du bist 1989 geboren, dem Jahr, als die Mauer fiel. Man denkt ja immer, je weiter die Wiedervereinigung zurückliegt, desto egaler wird, wo man herkommt.

Brummer: Ja, dachte ich auch lange. Bis ich ungefähr 30 war und merkte, nee, es gibt doch Unterschiede. Zum Beispiel merkt man im Osten deutlich die fehlende 68er-Bewegung, die die Westdeutschen hatten. Pegida, Naziaufmärsche oder der Kampf gegen die sogenannte Impfdiktatur erhalten im Osten noch mal deutlich größeren Zuspruch als im Westen.

Auch singst du: „Und Nazis raus ruft es sich leichter/ Da wo es keine Nazis gibt“.

Brummer: In diese Kritik schließen wir uns selbst mit ein. Bei unseren Konzerten gibt es vermutlich keine Nazis.

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Bringt es dann noch was, vor ihnen zu warnen?

Brummer: Ich warne lieber einmal zu viel vor den Nazis als einmal zu wenig! Es ist immer wieder wichtig für uns, klarzumachen, wo und wofür wir stehen – auch, wenn das noch so offensichtlich ist.

Wann hast du zum ersten Mal gemerkt, dass es Rechtsextreme gibt?

Brummer: Als wir Kinder waren, war die Gruselgeschichte vom Baseballschläger schwingenden Neonazi ein böses Märchen. Das änderte sich, als wir anfingen, auszugehen. Chemnitz hat eine stabile Clubszene, so mit 14, 15, 16 gehörten Tanzen, laute Musik, Knutschen dazu. Und eben auch, dass die Gefahr bestand, vor allem auf dem Heimweg, die Fresse poliert zu bekommen. Das hat sich damals nicht angefühlt wie dieses „Wir trotzen den Nazis“, sondern es war einfach eine Selbstverständlichkeit.

Spätestens seit den rechtsradikalen Ausschreitungen im Sommer 2018 gilt Chemnitz als Nazi-Hochburg.

Brummer: Mich hat gewundert, dass alle so schockiert auf Chemnitz geguckt haben, denn das Problem ist nicht plötzlich aufgekommen. Das gibt es seit 30 Jahren.

Eine Woche nach den Mob-artigen Jagdszenen in der Stadt habt ihr ein großes Solidaritätskonzert veranstaltet, „Wir sind mehr“. Der Song „Vierter September“ nun handelt von der Katerstimmung am Tag nach dem Festival. Ist da eine Illusion zerplatzt?

Brummer: Nach einem kurzen Moment, wo man glaubte, wirklich etwas verändern zu können, wird einem klar, dass alles beim Alten geblieben ist. Faschisten gibt es immer noch, und am institutionellen Rassismus in deutschen Behörden hat sich nichts geändert. Aber es ist nicht Nichts, wenn man den Leuten das Gefühl gibt, nicht allein zu sein.

„Fahr mit mir (4x4)“ ist eine Kollaboration mit Tokio Hotel. Die sind einerseits auch Musiker, in eurem Alter und aus Ostdeutschland. Andererseits trennen euch Welten.

Brummer: Ich habe eher das Verbindende wahrgenommen und war überrascht, wie viele Gemeinsamkeiten wir haben. Wir sind in ähnlichen Städten in Magdeburg und Chemnitz aufgewachsen, wir als Skater und Hip-Hopper, das hat uns das Leben schwer gemacht. Aber man kann sich ausmalen, wie es vor 15, 20 Jahren war, wenn man Kajalstift getragen hat und Nagellack.

Reagieren eure Indierock-Fans denn entspannt auf die Kollaboration mit den nicht ganz unumstrittenen Pop-Jungs?

Brummer: Die Fans finden es lustig und den Song schön. Aber es gab natürlich auch Kommentare, gerade zu Bill und nicht von richtigen Kraftklub-Fans, bei denen du merkst, was für eine Homophobie noch in vielen Leuten drinsteckt.

Ist „Fahr mit mir (4x4)“ ein Anti-Spießer-Song?

Brummer: Ja. Das Versöhnliche ist, dass die Leute, die sich am meisten über diese Zusammenarbeit aufregen, auch ein bisschen gemeint sind mit dem Song (lacht)

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