Mannheim. Während der Corona-Zeit, vor gut drei Jahren, kam die Uraufführung von „Dark Spring“ in Mannheim auf die Nationaltheater-Bühne. Nicht der günstigste Moment. Aber sie ging nicht unter, Hans Thomallas (Bild) Oper (nach Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“) wurde vielmehr überregional beachtet. Fast gefeiert. Nun kommt mit „Dark Fall“ ein Schwesterstück heraus. Wieder am Nationaltheater, aber diesmal nicht in Mannheim: Wir begegneten dem Komponisten im intimen Schlosstheater Schwetzingen. Zum Zeitpunkt des Gesprächs durften wir leider bei den Proben noch nicht zuschauen. Die erste öffentliche Probe gab es erst zwei Tage später.
Herr Thomalla, wovon träumt ein zeitgenössischer Musiktheaterkomponist? Dass er ein neues Repertoirestück schreiben könnte, eines, das beim sogenannten breiten Publikum Beachtung findet?
Hans Thomalla: Eine Opernproduktion ist zwar in jedem Fall fantastisch - schon, weil es hier viel mehr Proben gibt als vor Konzerten. Aber erst mit einer zweiten oder dritten Inszenierung wächst dem neuen Stück wirklich ein Eigenleben zu. Während man bei der ersten Produktion noch daran mitschreibt.
Der Komponist und seine Oper(n)
- Hans Thomalla, Jahrgang 1975, ist ein Deutsch-Amerikaner, der in Bonn geboren wurde, aber mittlerweile in Chicago und Berlin lebt. An der Frankfurter Musikhochschule und der Stanford University hat er Komposition studiert, bereits seit vielen Jahren lehrt er in Chicago selbst.
- Thomalla war von 1999 bis 2002 als Dramaturg in Stuttgart an der Staatsoper verpflichtet. An den wesentlichen Schauplätzen der zeitgenössischen Musik, etwa in Donaueschingen und Darmstadt, ist er häufig aufgetreten. Einen Schwerpunkt seiner Arbeit bildet das Musiktheater, für das Nationaltheater Mannheim hat er schon „Dark Spring“ geschrieben. Nun bringt er „Dark Fall“ heraus - mit Goethes „Wahlverwandtschaften“ als Hintergrund. Die Handlung hat Thomalla mit Juliana Spahr erarbeitet, die Arientexte schrieb Joshua Clover.
- Aufführungen: 29. 2. (Premiere), 2., 3., 6., 8. 3., jeweils im Schlosstheater Schwetzingen.
- Am 28. 2. findet ein Porträtkonzert zu Ehren Thomallas in der Feudenheimer Epiphaniaskirche
Mit „Dark Spring“, der letzten Oper, sind Sie aber schon auf einem guten Weg?
Thomalla: Ja, es gibt sie sogar auf CD - und es gibt auch Gespräche über Aufführungen andernorts. „Dark Spring“ war wirklich ein Erfolg, auch wegen dieser Produktionsbedingungen in Mannheim. Das Corona-Zeitfenster hat dabei ausnahmsweise fast geholfen und ein ungeheuer konzentriertes Arbeiten ermöglicht.
War das Schwesterstück „Dark Fall“ von Anfang an geplant?
Thomalla: Das zwar nicht, aber schon vor dem Komponieren von „Dark Spring“ war die Idee in mir gereift, ein Stück mit einer Hauptfigur zu schreiben, die beginnende Demenz hat. Den Autonomieverlust als Opernthema zu behandeln, hat mich immer schon gereizt. Und beim Entstehen von „Dark Spring“ ist mir dann aufgegangen, dass das Schwesternthemen sind: Da sind zum einen diese jungen Menschen, die sich in einer Geschichte wiederfinden, die nicht ihre ist. Und in „Dark Fall“ die Älteren, denen ja gleichfalls die Kontrolle zu entgleiten droht. Vor allem durch die Krankheit: Wer die ersten Alzheimer-Symptome spürt, wird irgendwann vielleicht zu einem anderen.
Die beiden Opern stützen sich auf sehr berühmte deutsche Texte Wedekinds und Goethes, doch gesungen wird auf Englisch. Warum ist das so?
Thomalla: Bei „Dark Spring“ sollte ja eine Song-Oper entstehen - für den Sound der jungen Menschen, wenn sie einmal zu sich selbst finden. Songs funktionieren meiner Meinung nach auf Englisch einfach besser. Doch Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ haben wir dabei durchaus vertont, wenn auch extrem verkürzt und komprimiert auf die zentrale Handlung. Während in „Dark Fall“ die „Wahlverwandtschaften“ von Goethe nur als Material dienen. Wegen der ähnlichen Figurenkonstellation. Goethe wird also nicht vertont, eine historische Bezugsfolie ist er indessen schon. Er spürte bereits diese Spannung zwischen dem hoch individuellen, autonomen Liebesdrang und der Gesellschaft. Darf man eine Ehe unter Umständen verlassen oder nicht? Dazu kommt noch das Biologische: Wer fühlt sich zu wem hingezogen und warum? Goethes Figuren schwanken zwischen diesen Kräften. In „Dark Fall“ geschieht das auch.
Ist die Musik in dieser neuen Oper dadurch eine andere geworden? Fransen Ihre Songs jetzt stärker aus?
Thomalla: Richtig, die Strukturen sind poröser, fragmentierter. Was ich gar nicht so bewusst geplant habe, aber das liegt an den Figuren, mit ihren zerbrochenen Berufskarrieren und Familien. Es gibt dennoch einige Momente, die erinnern fast wieder an Songs, es gibt Quartette wie aus Musicals. Am Schluss freilich zerfallen sie. Es gibt auch Anklänge ans Opernrepertoire, an Mozart und Puccini. Und mehr Dissonanzen.
Also doch mehr zeitgenössische Musik?
Thomalla: Nein, ich glaube nicht. Ich komme zwar kompositorisch von da her, versuche aber in der Oper, die Affekte der Figuren nachzuzeichnen, häufig mit tonalen Elementen. Denn Tonalität ist eine kollektive Sprache, die auch kollektiv verstanden wird. Einzig in den Momenten, da sich alles zu verlieren droht, etwa am Schluss der Oper, wird es sehr geräuschhaft.
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Was ist heutzutage überhaupt noch zeitgenössische Musik?
Thomalla: Es gibt viele zeitgenössische Musiken. Mir sind eher zeitgenössische Gefühle wichtig, und das sind nun einmal andere als die von Donna Anna, Carmen oder Turandot. Es sind oft uneindeutige Gefühle, die halb kollektiv, halb individuell entstehen.
Und wie werden diese orchestriert? Ist das Begleitensemble wieder eher klein besetzt?
Thomalla: Es ist etwas größer, als es bei „Dark Spring“ bemessen war. Ein Streichquartett ist zusätzlich dabei, doch dafür ist das Schlagwerk reduziert. Die Popmusik wurde somit ein Stück zurückgenommen und dafür die bürgerliche Innerlichkeit hochgefahren. Und ich glaube, dass das funktioniert, denn zwischen den Figuren geht es eben bürgerlicher zu. Da braucht es ein Orchester, das vermag, die Lebenskontexte dieser Personen abzubilden. Wenn dann etwa die Figur des Curtis - den die Ehefrau verlassen möchte - psychisch an der Wand steht, gibt es ein Klaviersolo mit Stimme. Fast ein Lied.
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