Tanz - Choreografin Helena Waldmann über die Arbeit an "Made in Bangladesh" / Morgen Premiere in Ludwigshafen

Kleiderfragen, Lebensfragen

Von 
Nora Abdel Rahman
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Ihr Tanzstück thematisiert schwierige Arbeitsverhältnisse: Helena Waldmann (rechts) bei Proben.

© Georgia Foulkes-Taylor

"Ich arbeite so viel, wie ich kann - bis ich umfalle!", lautet das Motto für "Made in Bangladesh". Regisseurin und Choreografin Helena Waldmann nimmt diese Haltung überall wahr. Es könnte auch ein Motto für unsere Gesellschaft sein. "Made in Bangladesh" dürfte als Label jedem bekannt sein. Wer sich in einem Laden in Deutschland ein Kleid oder eine Hose kauft, wird mit großer Wahrscheinlichkeit darauf stoßen. Und ob die Ware nun einen hohen Designerpreis oder einen niedrigen Discounterpreis hat, ist dabei unerheblich. In beiden Kleidern kann "Made in Bangladesh" stehen.

Gespür für Gesellschaften

Wir aber wollen günstige Ware kaufen, so günstig wie möglich. Und um den Konsum zu fördern, bieten Läden ihre Artikel zu Kleinstpreisen an. Helena Waldmann erzählt von der Eröffnung des irischen Textildiscounters Primark in Berlin, der von wartenden Menschen gestürmt wird. Auf die Frage, was an den Klamotten so gefällt, bekommt die Choreografin zur Antwort: "Du musst dich nicht entscheiden, du kannst alles nehmen. Was nicht passt, wird weggeschmissen." Und wie sehen wir aus in den billigen Kleidern, die den Jahren nicht standhalten, weil wir sie schon morgen erneuern? "Das Verhältnis zur Ware kennt keine Wertschätzung, keine Nachhaltigkeit. Unsere Bedürfnisse orientieren sich am Eintagesprodukt", erklärt die in Berlin ansässige Künstlerin Waldmann.

Immer wieder offenbart sie in ihren Arbeiten ein besonderes Gespür für Gesellschaften. Sei es in Form kultureller Ausprägung wie bei "BurkaBondage" über Bindung und Freiheit; sei es in Form menschlicher Grenzzustände wie bei "revolver besorgen" über Demenz und das Sein im Vergessen. "Made in Bangladesh" steht nicht nur für den Konsum am Ende einer Kette wirtschaftlichen Handelns, sondern im gleichen Maß des Extrems für körperliche Erschöpfung. Und die bildet den Anfang dieser Kette. Wenn Fabriken einstürzen und Menschen sterben, die unsere Kleider nähen, dann schrecken wir auf und fühlen mit.

Reicht das? Helena Waldmann reichte das nicht. Sie fährt nach Bangladesh und spricht mit Näherinnen, mit Managern und mit den Vertretern der Textilkonzerne. "Ich habe die ganze Runde gemacht", bemerkt sie über jedes Glied der Kette. Und ihr fällt vor allem eines auf, das sich gespiegelt in unserer Gesellschaft wiederfindet: "Zivilisation funktioniert in Kommandostrukturen." Waldmann trifft auf Näherinnen, die bis zur Erschöpfung nähen. Sie trifft auf sogenannte Line Manager - zur besseren Kontrolle sind die Maschinen in Reihen aufgestellt -, die auch mal von Nähern verlangen, für schnelleres Arbeiten die Schutzhandschuhe abzuziehen. Üble Verletzungen lassen sich nicht vermeiden. Ohne Überstunden lassen sich die Kleidermengen nicht herstellen. Wir wechseln die Kleider, wie es uns gefällt. Ohne Kontrollen lassen sich die Überstunden nicht eintreiben und die Stückzahlen des Tages nicht erreichen. Wir haben mal wieder ein Schnäppchen gemacht. Ohne körperlichen Ruin ist das Pensum nicht zu schaffen. Wir aber haben jeden Tag die unerschöpfliche Auswahl am bunten Angebot.

Unseren Konsum begründet Waldmann aber nicht mit Lebensfreude und Genuss. Vielmehr sieht sie ein Arbeitsverhältnis am Werk, das Optimierungswahn mit andauerndem Funktionieren koppelt. Wertschätzung von Produkten und Lebensqualität gehen dabei verloren.

Im Kathak, einem bengalischen Tanz, hat sie ihr künstlerisches Werkzeug gefunden. "Es ist ein vertikal ausgerichteter Tanz mit viel Fußarbeit. Die Tänzer benutzen den Boden wie ein Instrument", erklärt sie den Stil. Er spiegelt kongenial die immer gleichen Bewegungen der Näherinnen, die Nadelstiche und die maschinelle Taktung.

In drei Abschnitte hat die Choreografin ihr Werk geteilt. Angefangen bei der Nähindustrie über die kreative Industrie des Kunstbetriebs bis hin zum Work Out jedes Einzelnen. "Wer etwas ändern will, muss bei sich selbst anfangen", fordert Waldmann. Ihre Kunst gibt dazu den Anstoß.

Die Choreografie "Made in Bangladesh"

Helena Waldmann wagt sich mit ihren Werken über Grenzen und auf fremdes Terrain. Zuletzt war sie 2012 im Pfalzbau mit dem Stück "revolver besorgen" zu sehen. Dabei zeigte sie ebenso verstörende wie befreiende Szenen zum Thema Demenz.

Davor irritierte sie mit "BurkaBondage" über ein zwiespältiges Verhältnis in verführerischer Abhängigkeit mit dem Wunsch nach Freiheit.

"Made in Bangladesh" trifft ins Mark unserer Gesellschaft, die von Konsum und Kontrolle geprägt ist. In Bangladesh wird Arbeit mit Glück gleichgesetzt und Kontrolle als Arbeitsbedingung hingenommen. Waldman schafft daraus ein aufrüttelndes Kunstwerk.

Premiere morgen, 19.30 Uhr. Karten: 0621/504 25 58, pfalzbau.theaterkasse@ludwigshafen.de rah

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