Landesjazzfestival

Klänge gegen Trauer und Schmerz in der Konkordienkirche

Tamara Lukasheva sorgte mit ihren Begleitermusikern in der Mannheimer Konkordienkirche für intensive Momente. Das Konzert war der samstägliche Höhepunkt des Landesjazzfestivals.

Von 
Berthold Planer-Friedrich
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Besonderes Erlebnis: Tamara Lukasheva in der Konkordienkirche. © Rinderspacher

Nachdem sich das Landesjazzfestival den Samstag über auf drei Bühnen in der Stadt präsentiert hat, findet sich das Festivalpublikum zum Tagesausklang und -höhepunkt zu Tamara Lukashevas Triokonzert in der Konkordienkirche ein. Diese Kirche ist ein eher karger Raum, der sich im Inneren weitgehend schmucklos präsentiert und die Konzentration auf die Kunst nicht ablenkt. So passt das Setting hervorragend zu der verinnerlichten und fein gewebten Musik, die erklingen soll.

Die aus der Ukraine stammende Sängerin und Pianistin Lukasheva hat die Formation mit Laurent Derache am Akkordeon und Calvin Lennig am Kontrabass ins Leben gerufen, sie hat die Musik komponiert und arrangiert. Im Konzert breitet sie ein poetisches Universum aus, das sich aus tiefen Quellen speist, vom Schmerz erzählt und Hoffnung und Heilung verheißt. Zuerst fallen flüchtige offene Klänge auf; die ganz leisen Töne profitieren vom Hall des Kirchenschiffs. Teils greift Lennig die Töne am Kontrabass nur ab, ohne zu zupfen. Lukasheva verknüft diese schwebende Empfindsamkeit mit zeitgenössischen Strukturen und virtuoser Interaktion. Ihr unmittelbarer, ausdrucksvoller, mühelos wirkender Gesang weckt Assoziationen an Folklore.

Für manche Stücke verwendet Lukasheva Gedichte als Liedtexte, so zum Beispiel Clemens Brentanos „Singet leise“ oder ein Gedicht in ukrainischer Sprache über das einfache Glück von Wassyl Stus. Die Musik setzt sich intensiv mit der Bewältigung von Trauer auseinander und findet dabei ihr Pendant in den Texten und im Kontext, wenn Brentano davon erzählt, dass „in dem Rheine jetzt die lieben Kindlein klein“ schlummern, und wenn man sich vergegenwärtigt, dass Wassyl Stus der Repression zum Opfer gefallen und im Gulag gestorben ist. Die Erzählung vom Glück wird von einem Akkordeonthema aufgegriffen, Brentano inspiriert ein einsam klagendes Kontrabasssolo.

Im Gesang erfährt jedes Wort eine musikalische Umsetzung und erhält eine gesangliche Bedeutung. Bei dem Lied „Lullaby for Kira“ erklärt Lukasheva vorweg, dass sie es einem ukrainischen Baby gewidmet hat, dass im letzten Jahr an Ostern im Alter von drei Monaten seine Familie bei einem Angriff verloren hat. Sie will dem Schmerz und der Traurigkeit eine heilende Kraft geben. Das getragene und elegische Stück konfrontiert den Hörer mit Misstönen, wenn Kontrabassist Lennig beim Bogenspiel bewusst „kratzt“.

Der Fokus bleibt stets hoffnungsvoll. Im Laufe des Abends finden sich viele beglückende Momente und Eindrücke. Grandios sind Passagen, in denen Lukasheva unisono oder versetzt mit der Klavierstimme singt. Ebenso faszinierend und betörend ist es, wenn sie im Stile östlicher Folklore überintoniert und damit eine überraschende Facette aufglänzen lässt. Schlicht zufällig, aber dennoch bewegend ist es, wenn zwischen letztem Ton eines Stückes und Applaus der Gesang der Vögel aus dem Kirchgarten in die Kirche herüberweht.

Glückliche Fügung

Ganz am Ende des Konzerts werden die Besucher von einer weiteren glücklichen Fügung überrascht. Nach einem Technikausfall erklingt „Alles fängt mit Liebe an“ rein akustisch mit Lukasheva zusätzlich zum Gesang diesmal am Glockenspiel. Durch die reduzierte Lautstärke und die geschärfte Konzentration wird ein Moment geschaffen, der an Intensität und Intimität kaum zu übertreffen ist. Das staunende Publikum verlässt die Kirche in eine wundersam laue Frühlingsnacht.

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