Um Politik geht es im neuen Spielfilm des Regisseurs John Madden, und mehr noch geht es in "Die Erfindung der Wahrheit", der diese Woche ins Kino kommt, um die Rolle von Lobbyisten. Das Bild der Politik verändert sich, die Skepsis wächst - und deshalb, sagt der Regisseur, ist es wichtig, dass sich auch das Kino mit diesem Phänomen auseinandersetzt.
Herr Madden, Elisabeth Sloane, die Titelheldin in Ihrem Film "Die Erfindung der Wahrheit", ist eine Lobbyistin, die in keinster Weise um Sympathien buhlt. Wie bringt man eine solche Figur dem Publikum nahe?
John Madden: Es ist nicht die Aufgabe eines Regisseurs, Filme über liebenswerte Menschen zu machen. Aber es ist unsere Pflicht die Menschlichkeit in jeder Figur zu zeigen. Elisabeth ist eine Figur, die ihre Menschlichkeit fast vollkommen beiseite geschoben hat, weil diese ihrem Beruf, den sie obsessiv ausübt, im Wege steht. Dennoch bauen wir zu der Figur eine Beziehung auf, denn sie tut das, was uns als Menschen definiert: Sie macht Fehler.
Inwieweit ist die Figur davon geprägt, dass sie sich als Frau in einer männerdominierten Welt durchsetzen muss?
Madden: Es gibt viele mächtige Frauen im politischen Establishment in Washington, aber sie sind immer noch in der Minderheit. Und wir haben gerade erlebt, wie eine Frau, die glaubte, ins Weiße Haus einziehen zu können, systematisch dämonisiert und entwertet wurde. Elisabeth Sloane ist eine Frau, die sich nie über ihre Geschlechtszugehörigkeit definieren würde. Aber natürlich hat sie ihr Handwerkszeug in einer Männerwelt gelernt, in der sie sich ihren Platz erkämpfen musste. Aber sie wendet keinerlei "weibliche" Tricks an, um Ziele zu erreichen, sondern arbeitet mit Argumenten, Überredungskunst und vor allem mit gezielten Überraschungen. Unser Film interessiert sich sehr für Geschlechterpolitik, versteht sich aber weder als feministisches Traktat oder als politische Polemik, sondern als Studie einer komplexen Frauenfigur, die sich durch eine sehr interessante Welt voller Widersprüche bewegt.
Wie nah ist der Film an der politischen Realität in Washington?
Madden: Natürlich arbeiten nicht alle Lobbyisten mit solch harten Bandagen. Aber wir wollten zeigen, wie die politischen Narrative kontrolliert werden. In dieser Hinsicht ist die US-Waffenlobby ungeheuer erfolgreich. Sie hat immer wieder die Kontrolle der öffentlichen Diskussion um dieses Thema erlangt. Kein Mensch außerhalb der USA versteht, warum es über Jahrzehnte kein Gesetz durch den Kongress geschafft hat, das den Waffenbesitz im Land reguliert. Wie wichtig die Kontrolle der Narrative ist, wird in der aktuellen politischen Situation immer deutlicher. Fake-News und das postfaktische Zeitalter sind unmittelbare Resultate dieser manipulativen Bestrebungen. Wir leben in einer Zeit, in der es keinen Respekt mehr vor dem politischen Diskurs gibt. Dieser Film zeigt, wie diese Narrative erschaffen werden und sich gegen alle Fakten durchsetzen.
Trump und Brexit zeigen, dass sich die Menschen aus guten Gründen, aber mit fatalen Folgen vom Establishment abwenden. Wo verortet sich in diesem Kontext Ihr Film, der mit dem politischen System der USA hart ins Gericht geht?
Madden: Wir leben in einer Zeit der Demagogie, in der die Menschen nicht mehr wissen, wem sie vertrauen können. Alle Narrative, die ihnen präsentiert werden, erscheinen verdächtig. Man zieht sich zur Erholung in die eigenen Echokammern zurück, in denen die Menschen genauso denken wie man selbst - das ist eine gefährliche Tendenz, die direkt in die Polarisierung der Gesellschaft führt.
Filmemachen ist eine globalisierte Angelegenheit, als Regisseur arbeiten Sie sowohl in Großbritannien als auch in den USA - zwei Länder, die sich nun wirtschaftlich zunehmend abschotten. Wie schauen Sie auf diese Entwicklung?
Madden: Die Entscheidung, die mein Land getroffen hat, und die Wahl in den USA sind Ausdruck einer Rückkehr zu Selbstbezogenheit und Nationalismus. Ich verstehe, dass es ängstliche Reaktionen auf die Globalisierung gibt. Globalisierung bedeutet ökonomisch etwas anderes als etwa in der kommunikativen Vernetztheit der sozialen Medien. Ich bin Geschichtenerzähler und halte das nach wie vor für eine wichtige Sache, weil Filme helfen die kulturellen Unterschiede zu verstehen und uns gleichzeitig zeigen, was uns über die kulturellen Grenzen hinweg als Menschen verbindet. Ich hoffe, dass die derzeitigen politischen Entwicklungen Filmemacher und Künstler wachrütteln und sie sich diesen Bestrebungen mit aller Kraft widersetzen. Gerade in Europa wäre eine Rückkehr zum Nationalismus gefährlich. Schließlich baut unser Frieden in den letzten Jahrzehnten gerade auf den engen kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zueinander auf.
Regisseur John Madden
- Der britische Theater- und Filmregisseur John Madden wurde 1949 in Portsmouth geboren, er arbeitet sowohl in Großbritannien als auch in den USA. Er unterrichtete Schauspiel in Yale, inszenierte auch fürs Radio und Fernsehen.
- Große Bekanntheit erlangte er mit dem Film „Ihre Majestät Mrs. Brown“, in dem Judi Dench 1997 als Königin Victoria glänzte. Zwei Jahre darauf folgte der erfolgreiche Spielfilm „Shakespeare in Love“, der mit sieben Oscars geehrt wurde.
- Weitere Filme des Regisseurs: „Der Beweis – Liebe zwischen Genie und Wahnsinn“ oder „Best Exotic Marigold Hotel“. Maddens jüngster Film „Die Erfindung der Wahrheit“ mit Jessica Chastain in der Hauptrolle einer kompromisslosen Lobbyistin kommt diese Woche ins deutsche Kino. (tog)
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