Interview

Katrin Plötner hat "Eine Volksfeindin" in Mannheim inszeniert

Sie verleiht dem Drama von Henrik Ibsen Bezüge, die aktueller nicht sein könnten. Im Interview spricht die Regisseurin Katrin Plötner über ihre Inszenierung von "Eine Volksfeindin" am Nationaltheater Mannheim

Von 
Martin Vögele
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Katrin Plötner hat den Ibsen-Klassiker als „Eine Volksfeindin“ am Mannheimer Nationaltheater neu inszeniert. © Atsushi Kakefuda

Mannheim. Ein Klassiker, der kaum aktueller sein könnte: Katrin Plötner inszeniert Henrik Ibsens Drama „Ein Volksfeind“ als „Eine Volksfeindin“ am Nationaltheater Mannheim. Wir sprachen mit der Regisseurin über das Stück, seine Anbindung ans Heute und die Radikalität seiner Figuren.

„Heute gibt es keine Utopien mehr“, haben Sie vor einigen Jahren in einem Zeitungsporträt gesagt. Sehen Sie das immer noch so?

Katrin Plötner: Ich würde das, glaube ich, für mich persönlich anders sehen. Aber ich habe das Gefühl, dass es für die mehrheitliche Bevölkerung schon so ist. Dass dieses Zitat „Die Menschen können sich das Ende der Welt eher vorstellen als das Ende des Kapitalismus“ von Marc Fisher noch eine Gültigkeit hat. Ich glaube, dass es quasi vor Utopien Angst oder Respekt oder immer die Sorge gibt: „Wie soll das denn funktionieren?“ Und selten die Fragestellung: „Kann’s denn viel schlechter sein, als es jetzt gerade funktioniert?“

„Ein Volksfeind“ erschien 1882. Darin will ein Arzt publik machen, das das See- und Trinkwasser des Kurortes schädliche Mikroorganismen enthält. Die Honoratioren und auch die Bevölkerung wollen davon nichts wissen - es könnte der Wirtschaft schaden. Würde das heute ähnlich ablaufen?

Plötner: Auf jeden Fall. Das ist ja auch die Schwierigkeit. Ich würde gar nicht sagen, dass man die Menschen, die in dem Stück auftreten, dafür verurteilen kann. Die sind wirklich in einer Zwickmühle. Das ist auch das Tolle an dem Stoff, dass das Stück so geschrieben ist, dass man allen Figuren zwischendurch zustimmen kann in ihrer Haltung - und sie dann auch wieder ablehnt, weil das eine schwierige Gemengelage ist, wo man im Zweifelsfall mit seiner Entscheidung nur das Falsche tun kann.

Zu Autorin und Aufführung

Katrin Plötner inszeniert das Drama mit Texten der Journalistin und Autorin Seyda Kurt unter Verwendung der Bearbeitung von Florian Borchmeyer.

Plötner, Jahrgang 1985, studierte Regie an der Universität Mozarteum Salzburg. Sie inszenierte unter anderem am Residenztheater, am Schauspiel Frankfurt und zuletzt am Staatsschauspiel Dresden.

"Eine Volksfeindin“ feiert am Freitag, 10. März, 19.30 Uhr, im Alten Kino Franklin des Mannheimer Nationaltheaters (NTM) Premiere. Weitere Vorstellungen sind am 18. März sowie am 1., 22. und 23. April. Am 29. März wird die Produktion in Forum am Schlosspark in Ludwigsburg gezeigt.

Der Inszenierung liegt die modernisierte Fassung von Florian Borchmeyer für die Berliner Schaubühne zugrunde. Zudem wurden Texte der Hauptfigur, hier eine Frau, von Autorin Seyda Kurt neu interpretiert. Inwiefern?

Plötner: Zunächst haben wir nach einer Übersetzung gesucht, wo man die Konflikte des Stückes unmittelbar begreift, ohne dass man sich an merkwürdigen Begrifflichkeiten aufhängt oder sich in Konstellationen verbeißen muss, bei denen man nicht mehr genau das Problem versteht. Und da fand ich die Schaubühnen-Übertragung die stärkste. Bei der Schaubühnen-Inszenierung war der Moment des vierten Aktes, wo der Badearzt zum Volksfeind gemacht wird oder sich selber zum Volksfeind macht, eher wie eine offene Diskussion mit dem Publikum. Unser Wunsch war es, dass diese Rede noch mal modern interpretiert wird. Zusätzlich wollte ich, dass die Volksfeindin sich schon an verschiedenen Stellen vorher monologisch einschaltet. Und so hat Seyda unterschiedlich lange Monologtexte geschrieben. Letztendlich sind wir darauf gekommen, weil sie ein Sachbuch („Hass“, d. Red.) darüber geschrieben hat, wann Wut produktiv ist, wie man gesellschaftlich Prozesse voranbringen kann durch Aggression oder durch „Das passt mir nicht“. Das sind eigentlich Emotionen, die negativ konnotiert sind. Aber gibt es auch irgendeine eine Form von produktiver Ablehnung? Die Volksfeindin wird ja auch im Verlauf emotional, und während sie sich am Anfang für die Utopie stark macht, verrennt sie sich am Schluss in etwas, wo Hass nicht mehr produktiv ist.

Ist es eine „schleichende Radikalisierung?“ bei ihr?

Plötner: Ich glaube, dass ganz lange andere Figuren zu ihr sagen, sie sei so radikal, sie selber würde das aber nicht behaupten. „Schleichend“ insofern, dass sie das mehrmals im Guten versucht und es klappt immer nicht. Jedes Mal wenn sie auf diese Widerstände stößt, passiert so etwas wie ein Sprung oder eine Riss oder eine Veränderung der Figur.

Gleichzeitig könnte man auch sagen, das Establishment radikalisiert sich, um Veränderungen zu verhindern, oder?

Plötner: Das Bürgertum oder das Establishment sind meiner Meinung nach womöglich sogar die Radikaleren. Während sich die Volksfeindin verbal verrennt, verrennen sich die Leute in der Gesellschaft drum herum sogar aktiv körperlich, also gehen auf die Volksfeindin und ihre Familie los.

Man kann kaum umhin, dabei an die Klimadebatte zu denken...

Plötner: Seyda Kurt greift das auf jeden Fall in ihren Texten auf. Und ich finde das auch gut, weil es den Text dadurch ins Heute zieht. Jetzt gerade mit der Räumung von Lützerath hat man sich ja auch gedacht: So viel Polizeigewalt für paar Demonstrant*innen . . . ist das eigentlich gut oder ist das Establishment schon so radikal? Ist das eine Gesellschaft, in der wir leben wollen?

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