Ohne Übertreibung: Jules Kalmbacher ist die Hauptfigur im Musikmärchen des Jahres. "Ich dachte wirklich, ich koche da ein paar Wochen Kaffee", berichtet der 23-jährige Jules Kalmbacher - noch immer leicht ungläubig - von seinen Erwartungen an ein von Söhne-Gitarrist Kosho vermitteltes Praktikum im Studiokomplex von Michael Herberger und Xavier Naidoo. Statt Barista-Ausrüstung bekommt der Erbacher am ersten Tag einen voll ausgestatteten Studioraum zugewiesen. "Mach' mal", war die Parole. Drei Tage später abgewandelt in: "Wir brauchen Musik für einen Film mit Heiner Lauterbach. Das macht der Jules." - "Dann habe ich in zwei Monaten 300 Minuten Musik geschrieben", staunt der Popakademiestudent, der nach erfolgsbedingter Auszeit im Frühjahr 2014 sein viertes Semester angeht. In Musikwirtschaft, wohlgemerkt.
Während er im kalten Wasser schnell schwimmen lernt, statt Kaffee heiß zu machen, kommt Xavier Naidoo vorbei. Der pirscht gern als Ideenjäger und Musiksammler durch sein Studiorevier. Ihm gefällt, was er von Kalmbacher zu hören bekommt, schreibt und singt im Januar 2013 fünf, sechs Tage lang Texte zu den Songs und Indie-Rock-Sounds des unbeschriebenen Blatts aus Erbach. Ganz entspannt auf dem Studiosofa. "Da hatte ich die Hoffnung, dass irgendwann einer meiner Tracks auf einem Naidoo-Album erscheint."
"Ende Mai bringen wir's raus"
Aber eines Morgens verkündet Naidoo: "Wir sind uns alle einig: Ende Mai bringen wir's raus." Kalmbacher wirkt noch heute verblüfft, wenn er davon erzählt: Der Superstar, dessen erste Hits er in der zweiten Klasse im Radio hörte, vertraut ihm ein ganzes Album an, das eigentlich gar nicht geplant war. Nicht nur als Sound-Regisseur, sondern auch als Komponist und Musiker. Das sei schon extrem viel Verantwortung gewesen - nur "mit Bücherwissen" ausgestattet, wie der bodenständige Jungproduzent frank und frei zugibt. Aber es hat funktioniert - kommerziell mit Platin für über 200 000 verkaufte Exemplare von "Bei meiner Seele", das wie jedes Naidoo-Album Platz 1 der Charts erreicht. Und künstlerisch ist allein schon die Tatsache zu loben, dass Naidoo sich auf den puristischeren Kalmbacher-Sound im Stil von Daniel Lanois einlässt - ohne den gewohnten Streicher-Bombast.
"Xavier hat mich mein Ding machen lassen - wir sind uns wie zwei Musiker auf Augenhöhe begegnet. Er hat mir nie das Gefühl gegeben, es mit jemandem zu tun zu haben, der seit 15 Jahren die deutsche Popmusik dominiert." Kalmbacher hat dann wochenlang im Studiokomplex gewohnt, fast ohne Distanz zur eigenen Arbeit - so scheint er erst jetzt voll zurealisieren, was passiert ist. Aber trotz des rasanten Märchenfilms, in dem er seit gut einem Jahr die Hauptrolle spielt, ist der Erbacher reflektiert genug, die andere Seite der Erfolgsmedaille zu sehen: "Es ist auch schwierig: Was kommt nach einem Nummer-1-Album? Bleibt man 23 oder überspringt man jetzt dauerhaft alle Stufen?" Man wird sehen, wie viel Zeit ihm für derlei Überlegungen bleibt. Der nächste Lauterbach-Film, ein Roadmovie, braucht einen Score. Dazu gibt es prominente, teilweise völlig unerwartete Anfragen von der deutschen Pop-Prominenz . . . Immerhin ein Traum bleibt: "Mit Udo Lindenberg arbeiten!"
Trotz seiner noch kurzen Studienzeit sieht Kalmbacher sich durch die Ausbildung an "der Poppe" gut gewappnet: "Von Aquise und Management über Steuern bis zur Gema-Abrechnung habe ich schon viel gelernt, das mir im tagtäglichen Geschäft hilft. Und als mir die Naidoo-Leute den Vertrag vorlegten, wusste ich genau, auf was ich achten musste." Eine Situation, von der seine Helden wie Elvis, Johnny Cash, Paul McCartney oder Dave Grohl in ihren jungen Jahren nicht einmal träumen konnten.
Dass er es als Sänger und Musiker nicht an die Popakademie geschafft hat, damit hat Kalmbacher kein Problem: "Da brauche ich mir nur die Konkurrenz anzuschauen. Als Sänger war ich nicht so weit, mir fehlt noch die Authentizität, die ich als Produzent am wichtigsten finde." Außerdem habe er gemerkt, "dass ich nicht unbedingt in der ersten Reihe stehen muss". Stattdessen freut sich der zum festen Mitglied der Studiogemeinde bei Naidoo/Herberger aufgestiegene Praktikant, dass sein Erfolg auf den Wirtschafts-Studiengang abstrahlt: "Weil es zeigt, dass auch die Musikbusiness-Leute kreatives Potenzial zu bieten haben." Wirtschaftlich ausgesorgt wie Hit-Produzenten noch vor 20 Jahren hat er allerdings bei den heutigen Absatzzahlen nicht: "Aber dafür, dass ich Student bin, brauche ich mir die nächsten Jahre wenig Sorgen machen."
Zweiter Teil unserer Serie Popakademiker: Jules Kalmbacher
- Zur Serie: 2013 gibt es die Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim seit zehn Jahren. Aus diesem Anlass stellen wir mit unserer Serie in loser Folge herausragende Absolventen und Studenten vor. Dabei geht es nicht nur um Chartserfolge, sondern um besonders kreative Köpfe - auch im Bereich Musikwirtschaft.
- Zur Person: Jules Kalmbacher wurde am 18. Oktober 1990 in Erbach geboren. Mit sechs Jahren bekam er ein Schlagzeug, ein Jahr später Klavierunterricht, die erste Gitarre mit 13. Kurz darauf hatte er seine erste Band, heute heißt sie Jules Trash Combo. Schon als 17-Jähriger sammelte er Erfahrung im Peripherique-Studio der Krings-Brüder in Bad König.
- Zur Popakademie: Nach dem Abitur 2010 studierte Kalmbacher Musikwissenschaft und Geschichte in Heidelberg, bewarb sich aber schnell an der Popakademie. Als Singer/Songwriter schaffte er die Aufnahmeprüfung nicht, dafür aber im Bereich Musikwirtschaft. Dort studiert er seit dem Wintersemester 2011. In der Zwischenzeit arbeitete er mit Söhne-Mannheims-Gitarrist Kosho, der ihn im Sommer 2012 für ein Praktikum im Mannheimer Studio-Komplex von Herberger/Naidoo empfahl. jpk
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