Éric Trottier ist für Tanzstücke bekannt, die durch ihr Gespür für Zeitfragen auffallen. Jetzt hat er für sein neues Stück mit dem Ensemble von La Trottier Dance einen ungewöhnlichen Proben- und Aufführungsort dank der Offenheit des Besitzers Marcel Hauptenbuchner erhalten. Allerdings erst einmal befristet bis Sommer 2022. Denn das alte Stromwerk in Neckarstadt-West ist als Immobilie mit grüner Außenanlage ein wertvolles Objekt. Eine Kooperation zwischen Trottier und Sascha Koal vom Theater Felina-Areal mit der Initiative „Nachtmarkt“, deren künstlerisches Programm Markus Sprengler kuratiert, ist eingefädelt. Und Pläne für eine Gastronomie sind angedacht. Das stünde Mannheim gut: Ein Ort zum Proben und Experimentieren für freie Künstler im Austausch mit allen Menschen.
Trottier beweist erneut sein Talent für die Umfunktionierung urbaner Architektur. Als Mitgründer des Eintanzhaus hatte er schon einmal gezeigt, wie sich aus einem Kirchenraum ein Haus für Tanz- und Performance-Kunst machen lässt. Jetzt probt er seit März in der großen Halle des alten Stromwerks.
In dem 1898 gebauten Werk mit riesigen neoromanischen Rundbogenfenstern hat sich Trottier etwas einfallen lassen müssen, um der langen Kälte des Frühjahrs zu entgehen. Ein beheizbarer Raum im Raum, eine Tanzbox. Sie misst 13 auf 13 Meter und lässt dank Plexiglas rundum das Licht aus den Fenstern hinein. Als Dach schließt eine Zeltplane den Raum von oben ab und auf dem steinernen Grund schont ein Tanzboden die Körper der Tänzer.
„Das habe ich alles selbst gebaut“, erklärt Trottier und zeigt auf die Tanzbox. „Hier habe ich mit jedem aus meinem Team einzeln geprobt“, sagt er. „Erst hinterher habe ich die Solisten und ihre Soli zu einer Gesamtidee zusammengeführt“, erläutert der Choreograph seine der Pandemie geschuldete Probenstrategie.
Mit neun Tänzern, viele aus Mannheim und der Region, und den Musikern Steffen Dix und Peter Hinz, deren Sounds immer wieder in Trottiers Stücken zu hören sind, gestaltet er seine aktuelle Arbeit. „Follow lucky“, Premiere: 24. Juni, fordert die Zuschauer auf, unbekümmert dem Geschehen zu folgen. Verteilt in der Halle, performen die Tänzer und wir können uns ihnen nähern, sogar in einen Dialog mit ihnen treten oder weitergehen zur nächsten Performance.
„Uns interessiert auch, wie die Leute nach der langen Zeit des Lockdowns mit Nähe und Distanz umgehen“, sagt Trottiers Dramaturgin, Susanne Brauer, über das Konzept. „Follow lucky“ erforscht gesellschaftliche Werte wie Freiheit und Verantwortung und lotet die Grenzen aus zwischen Empathie und Kitsch, aber auch zwischen Scham und Abscheu. „Wir sind ein Crazy House, ein Dschungel“, witzelt Trottier. Wer aber die Werke des Choreographen kennt, wird wissen, dass er es mit seinen Begriffen ernst meint.