Enjoy Jazz

In Ludwigshafen feiert Denardo Coleman die Musik seines Vaters

Denardo Coleman beschert mit der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz dem Enjoy-Jazz-Festival ein denkwürdiges Konzert im BASF-Feierabendhaus - ganz im Geiste musikalischer Gleichberechtigung. Gewidmet ist es seinem Vater Ornette

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Gespi
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Ernst Theis (links) mit Musikern der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und Denardo Coleman (rechts) im Feierabendhaus der BASF. © Manfred Rinderspacher

Ludwigshafen. Wird die Frage nach den größten Schlagzeugern gestellt, fällt sein Name nicht. Aber bei seinem Enjoy-Jazz-Konzert im Ludwigshafener BASF-Feierabendhaus wirkt Denardo Coleman wie der weltbeste Drummer. Sein Spiel besitzt eine Komplexität, Schnelligkeit und rhythmische Mehrdeutigkeit, die ihresgleichen sucht. Er agiert losgelöst von metrischen Zwängen, wechselt die Zeitebenen, etwa wenn er einer Ballade temporeiche Schlagfolgen unterlegt. Und er trommelt Phrasen wie ein Saxofonist, schafft mit verwischten Klangströmen energetische Kraftfelder.

Aber er ist nicht der Star dieses Abends, der Star ist das Kollektiv aller Beteiligten. Mit einem imposanten Solisten-Septett und der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, die unter Ernst Theis eine grandiose Darbietung gibt, feiert Denardo die Musik seines Vaters, der Free-Jazz-Ikone Ornette Coleman, indem er dessen bahnbrechendes Album „The Shape Of Jazz to Come“ in kühnen Neuinterpretationen präsentiert.

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Die lösen sich weit von den Originalstücken aus dem Jahr 1959, verdichten die freie Improvisationsästhetik von damals. Denardo Coleman setzt auf das von seinem Vater erdachte System „harmolodischer“ Musik, das jedem Instrument die Möglichkeit gibt, sich jederzeit melodisch, harmonisch oder rhythmisch zu bewegen. Das führt zu spektakulären Simultanprozessen.

Die Staatsphilharmonie verblüfft mit einer Leidenschaft und Akkuratesse, mit der sie die anspruchsvollen Arrangements von sechs Komponisten (darunter Posaunist Craig Harris und die live mitwirkende Flötistin Nicole Mitchell) mit Bravour meistert. Und das bei bebopartig verschnörkelten Themen wie „Chronology“, die dem Orchester halsbrecherische Hochgeschwindigkeitspassagen abverlangen, und geballten Klangmassen, die es punktgenau in das turbulente Improvisationsgeschehen zu platzieren gilt. Darüber hinaus überrascht die Staatsphilharmonie durch swingende Kontrabass-Passagen.

Beeindruckendes Röhren

Das Konzert beginnt furios: „Eventually“ mit seinen wilden Melodieschlenkern und kantig zuckenden Motivblitzen gerät zu einer Free-Jazz-Eruption. Lee Odom lässt ihr Altsaxofon schrill aufschreien und in kreischende Hochtonregister umschlagen. Isaiah Collier beeindruckt mit röhrenden Deklamationen am Tenorsax, das er mittels Zirkularatmung wie einen Dudelsack zum Dröhnen bringt. Mit glasklarer melodischer Eloquenz und expressiven Überblaseffekten brilliert Nicole Mitchell auf der Flöte. Gitarristin Mary Halvorson begeistert mit ächzenden Tonbeugungen und metallisch klirrenden Glissandi.

Es geht aber auch anders: Bei „Rambling“, einem von Ornette Colemans Gassenhauern, dem „Shape Of Jazz“-Programm hinzugefügt, intoniert Jamaaladeen Tacuma, ein Virtuose am E-Bass, den berühmten Bo-Diddley-Stakkato-Beat. Und nun klingt das experimentierfreudige Jazzensemble wie eine deftige Blues-Kaschemmen-Band. „Peace“ gerät dagegen zu einer elektrisierenden Friedenshymne, die Nduduzo Makhahtini am Klavier durch fein perlende Gospel-Läufe mit Spiritualität auflädt. „Die Welt steckt in einer Krise“, ruft Spoken-Word-Künstlerin Moor Mother in ihrer leidenschaftlichen Performance und fordert: „The Shape Of Us To Come“– soll heißen: Wir müssen uns verändern. Ein bewegender Moment.

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