Enjoy Jazz - Frankfurter Ensemble Modern mit Live-Sampler Jan Bang im Heidelberger Karlstorbahnhof

Im Versuchslabor der Musik

Von 
Uwe Rauschelbach
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Der norwegische Musiker Jan Bang mischt die Töne, die ihm das Frankfurter Ensemble Modern liefert, zusammen und gibt sie elektronisch verwandelt zurück. © Rinderspacher

Er ist Dirigent, Arrangeur und Instrumentalist in einer Person. Und doch treffen diese herkömmlichen Bezeichnungen nicht auf das zu, was Jan Bang auf der Bühne wirklich tut. Man sieht ihn an seinen Wandlern und Verstärkern unablässig an Reglern schieben und auf Tasten drücken. Und man wird hineingezogen in einen Sog aus akustischen und synthetischen Klängen, die gängige Muster und Strukturen außer Kraft setzen.

Übliche Gattungsbegriffe taugen nicht zur Beschreibung dessen, was sich auf der Bühne des Heidelberger Karlstorbahnhofs vollzieht. Von Jazz mag man mit einer gewissen Großzügigkeit sprechen, weil es sich bei der Improvisation um das beherrschende Prinzip im Zusammenspiel zwischen dem norwegischen Soundtüftler und den fünf Instrumentalisten des Frankfurter Ensembles Modern handelt. Auch lassen sich, wenn schon keine harmonischen oder melodischen Abfolgen, immerhin rhythmische Sequenzen wahrnehmen – was dies auch immer über die Ursprünglichkeit von Musik aussagen mag.

Klänge aus der Retorte

Gleichwohl führt uns das gut einstündige Konzert vor allem in das Versuchslabor der zeitgenössischen E-Musik. Dietmar Wiesner (Flöte), Giorgos Panagiotidis (Violine), Eva Böcker (Cello), Saar Berger (Horn) und Sava Stoianov (Trompete) liefern neben Ton- und Klanggeräuschen auch kurze Motivschnipsel, die Jan Bang durch seine elektronische Pipeline schickt, um sie – verstärkt, verzerrt und mit elektronischen Erweiterungen angereichert – anschließend wieder aus der Retorte zu entlassen.

Knarrende Türen, quietschende Scharniere oder dumpfe Glockenschläge öffnen ebenso assoziative Räume wie Naturklänge und mysteriöse Kratz-, Schleif- und Piepsgeräusche, die einen orchestralen Hintergrund liefern, vor dem sich immer wieder instrumental erzeugte Cluster und Figuren herausheben. Hierbei kommt es zu klanglichen Verdichtungen und zu dynamischen Prozessen, die sich aus den wechselseitigen Reaktionen zwischen dem Ensemble und dem Live-Sampler ergeben. Kaum gespielt, werden die Instrumentaltöne umgewandelt wiedergegeben und mischen sich neu ins kammermusikalische Geschehen. Impulse lösen sich fortwährend ab und schaukeln sich auf.

Vorstellungen von Unterwasserwelten, Urwäldern, fremden Kulturen oder extraplanetarischen Lebensformen ziehen vor dem inneren Auge vorüber. Und am erstaunlichsten ist vielleicht die fragile Ästhetik, mit der Jan Bang diese Mischung aus natürlichen und künstlich erzeugten Klängen versieht. Sicherlich auch, da er das Sampling nur sehr zurückhaltend einsetzt.

Wenn im Klanglabor auch die Reagenzgläser glühen, so überwiegt doch zu keiner Zeit der Eindruck einer unorganischen, seelenlosen Musik. Gelegentlich streut der norwegische Überraschungskünstler ein viertöniges Bassostinato ein, das sich für melodische oder harmonische Einfälle eignen würde. Doch das Quintett gibt der Versuchung nicht nach, sondern überlässt sich dem Strom dieser aus dem Nichts kommenden und ins Nirgendwo führenden Bewegung, auf deren Wellen sich dieses schillernde Kunstwerk selbst zu perpetuieren scheint.

Trotz der Komplexität wie auch der sauerstoffarmen Abstraktionshöhe dieser Musik lässt sich neben den klanglichen Reizen auch eine Gesamtspannung ausmachen, die Bang mit untergründigen Patterns auflädt. Die erste von insgesamt drei Soundcollagen nimmt eine Dreiviertelstunde in Anspruch. Sie appelliert dank ihrer elegischen Unbestimmtheit und ihres im besten Sinne rücksichtslosen Umgangs mit Traditionen und Gesetzmäßigkeiten an die Anpassung unserer Hör- und Wahrnehmungsbereitschaft. Das Stück wirkt endlos – und schließt nur, weil sich Jan Bang mit einem Kopfnicken zum Abbruch entschließt.

Zwei weitere Stücke von jeweils einer Viertelstunde Länge folgen, dann ist Schluss. Aus dem Publikum ertönt ein spontan geäußerter Ruf, den man an dieser Stelle vielleicht am allerwenigsten erwartet hätte – und dem man doch auf eine gewisse Weise zustimmen würde: „Schön!“

Der Musiker und Produzent Jan Bang

  • Der norwegische Musiker, DJ und Produzent Jan Bang (1968 in Kristiansand geboren) hat sich auf das Programmieren und das Sampling bei Konzerten spezialisiert.
  • Dabei nutzt er den Sampler nicht nur als Speicher, sondern schickt die umgewandelten Klänge sogleich neu auf die Konzertbühne.
  • Im Zusammenspiel mit einem akustischen Instrumentarium experimentiert Bang im Grenzbereich von E- und U-Musik.
  • Jan Bang ist in diesem Jahr Artist in Residence beim Festival Enjoy Jazz.
  • Nächstes Konzert am Mittwoch, 9. Oktober, 20 Uhr: Jan Bang und das Eivind Aarset Duo in der Heidelberger Heiliggeistkirche.
Enjoy Jazz

Jan Bang mit Modern im Heidelberger Karlstorbahnhof

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