Tipp der Woche - Interview: Der Fotokünstler Horst Hamann über seine neue Ausstellung „Sehfahrten“ im Mannheimer Kunstverein  

„Ich möchte zeigen, wer ich bin“

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Mannheim. Berühmt wurde Horst Hamann mit seiner urbanen, vertikalen Schwarzweiß-Fotografie. Dieses Jahr feiert der gebürtige Mannheimer seinen 60. Geburtstag und zeigt in einer Ausstellung 70 unveröffentlichte Fotos, die einen persönlichen Blick auf den Fotografen zulassen. Die Ausstellung „Sehfahrten“ ist ab diesem Sonntag im Mannheimer Kunstverein zu sehen.

Herr Hamann, wieso bereisen Sie die Welt nicht mit dem komfortablen Flugzeug?

Horst Hamann: „Sehfahrten“ steht symbolisch für die Reise, die Ausstellung könnte genausogut „Sehnsucht“ oder „Sehsucht“ heißen. Denn es geht auch um die Suche und die Leidenschaft, die Zeit in Fotos einzufangen. Dieses Sehen war immer ein Begleiter von mir.

Wozu ist das Reisen gut?

Hamann: Toleranz und das Verstehen fremder Länder kann man nur durch das Reisen erreichen. Auf meiner ersten Reise nach Maine ’79 habe ich ein Fotografen-Ehepaar kennengelernt. Die Frau sagte immer zu mir: „Lieber ein kleiner Fisch in einem großen Fischtank als ein großer Fisch in einem kleinen Tank.“ Dieses Bild habe ich mir gemerkt.

Sollte sich jeder Mensch auf eine große Reise begeben?

Hamann: Jeder ist anders gestrickt, aber wer den Mut dazu hat, wird belohnt. Damit meine ich natürlich keine gesetzten Reisen wie drei Wochen Ballermann, sondern das Reisen außerhalb der Pfade. Wenn man beobachten kann, lernt man viel.

Ihre Fotos gehen bis auf das Jahr 1974 zurück. Wie wählt man 70 Fotos aus über 40 Jahren aus?

Hamann: Man kann meine Ausstellung als Selbstporträt verstehen. Teilweise habe ich technisch schlechtere Bilder ausgewählt, die mir jedoch viel bedeuten. Ich bin jetzt alt genug, um nicht mehr beweisen zu müssen, dass ich gut fotografieren kann. Jetzt möchte ich zeigen, wer ich bin, und wie ich zu dem geworden bin. Mein allererstes Dia-Bild ist ein Bild vom Mannheimer Bellenkrappen (bei der Reißinsel, d. Red.), für das ich damals die Schule geschwänzt habe. Das sind Schlüsselbilder, die mich ausmachen – Bilder meiner Reise zum heutigen Zeitpunkt. Vielleicht ist diese Ausstellung daher auch meine wichtigste und schönste.

Was ist die Geschichte hinter dem Foto des ecuadorianischen Kindes von 1986?

Hamann: Mit einem Schulfreund bin ich Mitte der 80er Jahre durch Südamerika gereist. In Ecuador am Strand sah ich dieses Mädchen, wie es mit seinen Händen am Fenster entlangstrich. Dieses Motiv der Hand und der Berührung hat mich sehr bewegt. Kurz zuvor hatte ich meinen Vater gefunden.

Ihren Vater?

Hamann: Ich bin ohne Vater aufgewachsen, irgendwann hat meine Familie erfahren, dass er sich in Paraguay aufhält. Da wusste ich, dass für mich die Reise losgeht. Mit 27 Jahren bin ich also nach Südamerika – vier Tage später stand ich vor seiner Tür in Paraguay. Wenig später ist er gestorben. Die Reise war damit zum richtigen Zeitpunkt.

Ist das Ihr wichtigstes Bild?

Hamann: Die Vatersuche repräsentiert für mich sehr viel. Wenn ich ein Bild aus meinen ganzen Bildern aussuchen müsste, würde ich das Bild eines Zuges in Peru auswählen, unter dessen Rädern sich zwei Gleise vereinen. Das ist eines meiner wichtigsten Bilder überhaupt.

Ihre Fotos zeigen Stationen Ihres Lebens. Wo spielt sich unser Leben ab?

Hamann: In uns selbst. Alles ist eine Frage der Wahrnehmung und Rezeption. Man kann mit zehn Leuten nach New York gehen und alle nehmen es unterschiedlich wahr. Vieles spielt sich in einem unerklärlichen Bereich ab. Man kann Bilder oder Fotos beschreiben, aber den emotionalen Wert kann man nicht erklären. Das ist das Magische an der Fotografie.

Ist Kunst also der Schlüssel zum Menschen?

Hamann: Wenn man ehrliche Kunst macht, ja. Wenn man nur Sonnenuntergänge fotografiert, kann ich nicht viel herauslesen. Wenn man das ganze Leben beobachtet, reflektiert und fotografiert, kann ich sehen, wie dieser Mensch sieht. Natürlich gibt es auch Bildwelten, in die ich nicht hineinkomme. Entweder weil ich keinen Zugang oder keinen Schlüssel finde.

Ihre Reisen gingen um die Welt. Wo ist ihr Zuhause?

Hamann: Ich bin in Bewegung zuhause und dort, wo meine Familie ist. Vielleicht ein pathetisches Bild, aber wenn ich nicht mehr bin, müsste meine Asche an drei Plätzen verstreut werden: am Friedrichsplatz, im East Village und am Willard Beach bei Portland. Diese drei Punkte, das ist meine Heimat.

Horst Hamann

Horst Hamann fotografiert seit seinem elften Lebensjahr. 1958 geboren, wuchs er auf dem Lindenhof und in Niederfeld auf, verbrachte sein halbes Leben in den USA und lebt heute in Frankfurt/Main. Berühmt wurde er mit vertikalen Fotografien der Stadt New York. Als ersten Deutschen ehrte ihn das „Museum of the City of New York“ mit einer sechsmonatigen Einzelausstellung, auch erhielt er die Ehrenmedaille der Stadt. igl

Info: Eröffnung: Sonntag, 4. Februar, 17 Uhr, Eintritt frei. Ausstellung bis Sonntag, 1. April. Mannheimer Kunstverein.

 

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