Die Lied Akademie mit Thomas Hampson fängt, zumindest für die Öffentlichkeit, beim abendlichen Get-Together aller Akademisten im Alten Hallenbad in Heidelberg an. Die Macher des Festivals haben gleichermaßen schlicht und großzügig eingeladen: "Als würden gute Freunde zu einem nach Hause kommen", so benennt Intendant Thorsten Schmidt zwischen Mozzarella-Tomaten-Spieß und Rotwein das Leitmotiv für die Arbeit seines Teams, und genau so fühlt es sich auch an.
Alle sind da: die Stipendiaten der Festival-Akademie, ob Sänger, Instrumentalisten oder Komponisten, die Verantwortlichen und Förderer des Festivals, interessierte Zuhörer, Matthias Pintscher und Thomas Hampson. Wertschätzung durch Anwesenheit. Die Stipendiaten der Lied Akademie haben schon eineinhalb Tage Arbeit hinter sich. Aus Mannheim sind vier Sängerinnen und Sänger, alle aus der Klasse von Snezana Stamenkovic, und eine Pianistin dabei. Sie sind erschöpft und begeistert. Natürlich hatten sie alle einen Mordsrespekt vor Thomas Hampson, aber nun schwärmen sie von der lockeren Atmosphäre. In schöner Harmonie formulieren die Sänger einen gemeinsamen Satz: "Mit so einem Künstler zu arbeiten, der seit 30 Jahren auf der Bühne steht" (Nikola Diskic), . . . "der so viel Erfahrung hat" (Tamara Banjesevic), . . . "der so einen großen Namen in unserer Kunst hat, das ist schon toll" (Sonja Saric).
Ob sie irgendetwas zu kritisieren hätten? Nein. Also schaut man sich das Ganze mal selbst an. Am nächsten Tag, in der Alten Aula der Universität. Im schlichten Gegensatz zu Holz, Puttchen und Rössern ein einfaches Podest, ein Flügel und ein Tisch, den die Festival-Ikone ziert -eine weiße Tulpe. Der Saal ist voll, aber nur erstaunlich wenig Studenten nutzen die Chance, kostenlos einem Meisterkurs mit Thomas Hampson beizuwohnen.
Thomas Hampson arbeitet mit fünf Schülern bis zu eine Stunde intensiv an einer Ballade. Es geht sehr viel um die eigene innere Haltung. Das fängt bei der Pianistin an, die angeregt wird, innezuhalten, bevor sie zu spielen beginnt: "Höre es - und bring' es zu Gehör!"; in Variationen fällt dieser Satz auch bei den Sängern immer wieder: "Re-Sonanz, Re-Sounding, Ré-Sonance: Es ist schon da - machen wir es hörbar."
Glauben an die Schönheit
Bei der Arbeit mit Tamara Banjesevic schallt vom Uni-Platz auf einmal Straßenmusik empor. Das Publikum scheint gespannt, wie er reagiert: "Wenn wir wissen, was es ist, können wir damit leben." Zur irritierten Sängerin sagt er: "Die Lotosblume bleibt eine Lotosblume, auch wenn er dazu singt." Zu einem anderen Schüler: "Du bist wahnsinnig musikalisch. Aber ich will, dass du einen vollständigen Glauben an die Schönheit deiner Stimme hast."
Die Lauteren hingegen beschwört er, sich durch die Anforderungen des Opernalltags nicht die Stimmkultur zu verderben, sondern sie sehr bewusst zu pflegen, denn: "Dieses Gedrückte, Gequetschte ist ungesund. Du sprichst mit einem kleinen Vogel - wenn du ihn anschreist, wird er wegfliegen." Es gibt mehr zu lernen als bloß Technik und Interpretation.
Er arbeitet an der Vokalkultur -"wir lassen Räume klingen". Sehr viel mehr aber arbeitet Hampson mit dem Körper. Nicht nur, dass im Rumpf "Stille und Stärke" der Anker sein sollen, der Brustkorb hingegen "lebendig und luftig". Die Schüler sollen schon gar nicht durch ruckartige Bewegungen ihren Kehlkopf einengen. Dem Publikum erklärt er: "Das killt das ganze Lied. Kopfnicken ist eine der dümmsten Bewegungen, die man machen kann - das ist körperlich und gesanglich schädlich."
Thomas Hampson ist zugewandt, sensibel, bisweilen voll des Lobes, aber auch klar in seinen Korrekturen. Er hält den Schülern die Augen zu, korrigiert die Mundstellung, lässt sie die Lippen schürzen und die Arme nach oben strecken, und wirklich: Die Stimmen klingen dann sofort freier.
Mit der Zeit leeren sich die Reihen. Vier Stunden Meisterkurs sind nicht nur für die Sänger anstrengend. Zumindest das Publikum hat ein paar Tage Zeit, sich für den Meisterkurs mit Thomas Quasthoff auszuruhen. Für die Sänger geht es gleich am nächsten Tag weiter.
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