Es sei ja ein alter Traum von ihm, dass sein Festival gar nicht mehr aufhöre, bekennt Enjoy-Jazz-Leiter Rainer Kern in der Ansage zu Beginn. Aber dass sein Wunsch nun wenigstens partiell in Erfüllung geht, hat er sich so wohl nicht träumen lassen: Aufgrund der jüngsten Verschärfung der Corona-Bekämpfungsmaßnahmen muss Enjoy Jazz 2020 nach Ablauf von zwei Dritteln des Programms unterbrochen werden; zunächst bis Ende November.
Bis auf weiteres ist dieser Abend in der Mannheimer Alten Feuerwache also der letzte, an dem live und vor Publikum Musik gemacht werden kann. Immerhin geschieht es sozusagen standesgemäß: Zum einen, weil mit dem Ludwigshafener Schlagzeuger Erwin Ditzner der einzige Musiker dafür verantwortlich zeichnet, der bei Enjoy Jazz, und das seit Jahren, eine „Carte Blanche“ innehat, also Mitmusiker seiner Wahl einladen kann. Und zum zweiten widmet sich Ditzner mit seinen Gästen traditionsgemäß der völlig freien, ungeplanten Gruppenimprovisation; das entspricht dem Selbstverständnis eines Festivals, das sich den avanciertesten Spielweisen des Jazz verpflichtet fühlt.
Splittertöne aller Art
Diesmal geschieht es in einer wahrlich handverlesenen Kombination von Spezialisten des Genres. Gitarre spielt ein Free Jazzer aus Finnland, Mikael Szafirowski, Bassgitarre der Holländer Luc Ex, Veteran der experimentierfreudigen Punk-Band The Ex, die früher schon den Kontakt zu wagemutigen Jazzsolisten gesucht hat. Leicht verdauliche Kost darf von solchen Liebhabern des musikalischen Abenteuers natürlich nicht erwartet werden. Es dauert fast eine Stunde, bis Mikael Szafirowski seinem Instrument den Hauch einer Melodie entlockt. Mit schrägen Glissandoeffekten der Gitarre klingt sie entfernt nach Hawaii, bleibt jedoch nicht lange bestehen. Ähnlich ergeht es kurz vorher einem urplötzlich auftauchenden verqueren Funk-Muster, das Szafirowski mit seinem Bass-Kollegen Luc Ex entwickelt.
Der große Rest sind Geräusche, Splittertöne aller Art aus der Gitarre und tiefes Brummeln des Basses. So tief, dass es oft nur zu ahnen ist; vermutlich, weil derart dumpfe Sounds zu einem guten Teil noch unterhalb der Hörgrenze des menschlichen Ohrs angesiedelt sind. Aber was hier unternommen wird, ist alles andere als eine bloße Geräusch-Orgie; hoch musikalisch vorgetragen stattdessen, in von Anfang an spürbarer kontrollierter Intensität des Zusammenspiels. Und alles klingt sehr organisch; so, als bewege sich ein rätselhaftes unbekanntes Lebewesen da auf Spinnenbeinen vorwärts.
Für diesen Eindruck sorgt vor allem auch das filigrane, niemals dick auftrumpfende Schlagzeugspiel Ditzners. Dass nach einer Stunde bei ihm der vorher eingestellte Wecker klingelt und dem Auftritt ein Ende macht, ist keineswegs ein Stilbruch.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-hochmusikalische-kultur-des-geraeusches-_arid,1711506.html