Kunst

Helnwein-Schau in Hagen: Skandale und Scientology

Er ist berühmt und berüchtigt, der in den USA lebende Österreicher Helnwein. Nicht erst seit dem Scorpions-Plattencover von 1982. Er gilt als Meister der Provokation - seine Werke sind nun im Osthaus-Museum zu sehen

Von 
Peter Reichelt
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Großer Verstörer: Gottfried Helnwein 2017 in Wien vor einem seiner Bilder mit Nazi-Thematik, betitelt „Epiphany 1 (Anbetung der Könige)“. © Gert Eggenberger/APA/dpa

Hagen. Die aktuelle Ausstellung im Osthaus-Museum in Hagen markiert für den österreichischen Künstler Gottfried Helnwein eine bedeutende Rückkehr nach Deutschland, dem Land, das er Anfang der 2000er Jahre fluchtartig verließ. Seine Werke, die seit den frühen 1970er Jahren für Kunstskandale sorgen, sind geprägt von einer tiefen Auseinandersetzung mit den Reiz- und Tabuthemen unserer Zeit, insbesondere mit seinen Darstellungen verletzter oder bedrohter Kinder, insbesondere junger Mädchen sowie provokativer Motive aus der Nazizeit.

Helnwein, der im vergangenen Jahr 75 Jahre alt wurde, ist bekannt für seine einprägsamen und oft verstörenden Kunstwerke.

Vom Besucherrekord in der Wiener Albertina nach Westfalen

Die Wiener Albertina würdigte ihn im Jahr 2023/24 mit einer umfassenden Ausstellung anlässlich seines Geburtstags. Mit über 300 000 Besuchern verzeichnete die Albertina mit Helnwein einen Allzeit-Besucherrekord. Nun sind noch bis 30. Juni 40 Exponate aus den vergangenen 30 Jahren im Hagener Osthaus Museum zu sehen. Diese Ausstellung mit dem Titel „Gottfried Helnwein. Realität und Fiktion. Malerei“ umfasst 80 Prozent der Bilder, die in Wien präsentiert wurden und dort für Aufsehen sorgten.

Die emotionale Debatte um Helnweins Kunst erreichte im Januar 2024 einen neuerlichen Höhepunkt, als seine drei im öffentlichen Raum präsentierten Werke in Gmunden, der Kulturhauptstadt Europas 2024, für einen Skandal sorgten.

Insbesondere die Installation zweier sich küssender Mädchen am Rathaus und die Darstellung eines blutverschmierten Kindes am Stadttheater lösten sogar Pädophilie-Vorwürfe aus. Kritiker warfen Helnwein vor, mit seinen Werken Gewalt zu verherrlichen und pädophile Sehnsüchte anzusprechen.

Die Frage nach der Intention seiner Werke bleibt spannend

Helnwein selbst betonte in Interviews mehrmals, dass er die Interpretation seiner Werke den Betrachtern überlasse. Dennoch blieb die Frage nach der Intention seiner Darstellungen im Raum stehen. Insbesondere das Werk der küssenden Mädchen am Rathaus ließ viele Besucher ratlos zurück. Anfang März ließ der Bürgermeister der Stadt frühzeitig zwei der drei großformatigen Helnwein-Bilder vom Stadttheater abhängen.

Während Helnwein öffentlich zu seinen Werken steht, bleibt sein Verhältnis zur Scientology-Sekte, die von vielen Kritikern als kriminelle Vereinigung angesehen wird, undurchsichtig, und das ist von ihm durchaus beabsichtigt. Dokumente zeigen, dass Helnwein bereits im Jahr 1972 Mitglied dieser umstrittenen Organisation wurde und innerhalb von nun über 50 Jahren „Mitgliedschaft“ bei Scientology von dieser die höchsten Weihen erhalten hat.

Er trägt die von ihm teuer erkauften Scientology-Fantasietitel „Operierender Thetan“ und „Auditor IV“ sowie eines „Patron“. Ein sogenannter „Patron“ ist ein Großspender in die „Kriegskasse“ der Organisation. Mit diesem Geld werden seit Jahrzehnten weltweit die Kritiker der Sekte bekämpft.

Bis heute wirbt Helnwein mit seinem Namen für den 2018 gegründeten Scientology-TV Sender und nimmt regelmäßig als Stargast – neben Tom Cruise und John Travolta – prominent in der ersten Reihe sitzend bei großen Scientology-Feierlichkeiten, die dem aktuellen Sektenchef David Miscavige huldigen, teil, zuletzt im März 2019 im Welthauptquartier der Sekte in Clearwater im US-Bundesstaat Florida.

Bemerkenswerterweise vertritt Helnwein, was bisher kaum bekannt ist, schon seit Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit die Lehren des Sektengründers L. Ron Hubbard, insbesondere durch seine immer wiederkehrenden Darstellungen „verletzter“ Kinder.

Bezüge zu den Lehren sind unübersehbar: In seinem Buch „Art“, liefert Hubbard die genauen Vorgaben, wie man „Scientology-Kunst“, insbesondere in Verbindung mit Kindern, umsetzt. Helnwein absolvierte dafür zahlreiche Kurse. In aktuellen Scientology-Veröffentlichungen wird Helnwein ausgiebig gelobt, da er Hubbards Vorgaben, wie dessen Kunstvorstellung auszusehen hat, eins zu eins umsetzt. Zitat: „Einige der berühmtesten Gemälde Helnweins zeigen leidende Kinder. Helnwein entlarvt darin die uneingestandene Grausamkeit der Gesellschaft. Aber es gibt auch Hoffnung. Der Künstler kennt Hubbards Ideen über Kinder als geistige Wesen, die junge Körper bewohnen. Mit seiner Technologie bewaffnet, können Kinder überleben und die Unterdrückung besiegen.“

Die engen Verbindungen zu den Lehren des Sektengründers Hubbard werfen daher immer wieder ernsthafte Fragen im Hinblick auf die Integrität und Unabhängigkeit seines künstlerischen Schaffens auf.

Jahrzehntelange Beziehung zu Scientology und dem OSA

Besonders brisant sind Helnweins bisher kaum bekannte langjährige Verbindungen zum Scientology-Geheimdienst OSA (Office of Special Affairs). Wie diese Redaktion nun von hochrangigen Aussteigern bestätigt bekommen hat, pflegt der Künstler seit Jahrzehnten enge Beziehungen zu führenden Mitgliedern des OSA und nahm an Treffen mit dem leitenden OSA-Direktor Mike Rinder und seinem Stellvertreter Klaus Büchele teil. Büchele, damals OSA-Direktor für Rechtsangelegenheiten, dazu heute: „Helnwein war über Jahrzehnte der wichtigste deutschsprachige Scientologe und daher für OSA als ,freiwilliger Mitarbeiter’ von großer Bedeutung. Er war der einzige berühmte Scientologe aus Europa, der sich in den 1990er Jahren in Washington für uns im Kampf gegen die deutsche Regierung öffentlich einsetzte. Unser Team traf sich mehrmals mit ihm bei uns im OSA-Hauptquartier in Los Angeles zu Strategiebesprechungen im Kampf gegen Feinde von uns.“ Das bestätigte auch Mike Rinder dieser Zeitung.

Helnweins Verbannung aus der Wiener Domkirche St. Stephan

Eine kleine Sensation sind auch Bücheles Aussagen über den auch in den USA bekannten österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider und dessen Verbindungen zum Scientology-Geheimdienst. Büchele: „Ja, Jörg Haider traf sich Ende der 1990er Jahre mit uns beiden Österreichern – Kurt Weiland und mir, wir führten jahrzehntelang gemeinsam mit Mike Rinder OSA an – in einem Nebenzimmer im ersten Stock des Restaurants ,Renaissance’ im Scientology Celebrity Center in Los Angeles.“

Beide Parteien versprachen sich offensichtlich viel von einer möglichen Kooperation. Büchele weiter: „Haider hatte sicherlich mehr Absichten wie nur ein gemeinsames gutes Mittagessen.“

Die scharfen Diskussionen um Helnwein setzen sich bis heute fort. Kurz vor Ostern hat die Kirchenführung der Wiener Domkirche St. Stephan auf massiven öffentlichen Druck beschlossen, das geplante Aufhängen des von Helnwein gestalteten „Ostertuch“ und „Pfingsttuch“ im Dom zu verbieten. Bereits sein „Fastentuch“ hatte zuvor für große Empörung im Land gesorgt. „Als Reaktion auf die verstörenden Bilder und die öffentlichen Bedenken hinsichtlich ihrer potenziellen Auswirkungen auf die Gesellschaft wurde die Entscheidung der Absage getroffen“, so Wiens katholische Kirchenführung.

Am vergangenen Karsamstag wurde schließlich sein großformatiges Triptychon im Stephansdom abgehängt. Helnwein warf der katholischen Kirche daraufhin vor, ein Opfer von „Cancel Culture“ und einer „Zensurorgie“ zu sein. Toni Faber, Dompfarrer und auch enger Vertrauter Helnweins, ortet sogar „rechtskonservative Kräfte“, die sich durchgesetzt hätten.

Nach langer Abstinenz erfolgt nun die künstlerische Rückkehr Helnweins nach Deutschland und die mit der Hagener Schau möglich gewordene Auseinandersetzung mit seiner kontroversen Kunst. Sie lädt somit buchstäblich ein, sich (gerade mit Wissen um seine Verbindungen zur Scientology-Sekte) im Osthaus-Museum ein eigenes Bild zu machen – bekanntlich das spannendste Kunst-Erlebnis ...

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