Mannheim. Am 16. Januar 2022 blicken wir mit großer Wehmut auf eine der glanzvollsten Karrieren zurück, die in den Annalen des Mannheimer Nationaltheaters zu verzeichnen sind. An diesem Tag jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag des strahlenden Heldentenors Jean Cox, der fast ein halbes Jahrhundert lang zum exzellenten Ruf vor allem der Mannheimer Oper beitrug, auch wenn man in der Vor-Internet-Zeit von seiner Weltkarriere hier nicht allzu viel mitbekam.
Natürlich waren die Mannheimer stolz darauf, dass „ihr“ blond gelockter Held auch bei den Bayreuther, Münchner und Bregenzer Opernfestspielen Triumphe feierte, aber dass er auch regelmäßig in Stuttgart, Wien, London, Paris und an der Met sang, wussten eigentlich nur die Eingeweihten. Die Omnipräsenz am eigenen Haus war nur deshalb kein Widerspruch zu seinen vielen Gastspielreisen, weil er wirklich über eine gusseiserne Konstitution verfügte. Wenn er morgens in Düsseldorf für Wagners „Götterdämmerung“ probierte, dann hätte ihm niemand (und schon gar kein Tenor!) geglaubt, dass er am Vorabend fünf Stunden lang als Siegfried in Mannheim auf der Bühne gestanden und nur im Nachtzug ein paar Stunden Schlaf bekommen hatte.
Jean Cox
- Jean Cox wurde 1922 in Gadsden/Alabama geboren, studierte nach dem Militärdienst an der Universität von Alabama, später in Boston und mit Hilfe eines Fulbright-Stipendiums in Rom, übrigens bei Luigi Rizzi, dem Lehrer Beniamino Giglis. Er kam über Kiel und Braunschweig 1959 nach Mannheim – und blieb.
- Obwohl er an allen wichtigen Bühnen der Welt sang, eine Säule der Bayreuther Festspiele war, blieb er auch über das Pensionsalter hinaus der Mannheimer Oper, deren Ehrenmitglied und erster Kammersänger er war, verbunden. Den Lebensabend verbrachte Cox mit seiner zweiten Frau, Altistin Anna Reynolds, bei Bayreuth, wo er 2012 90-jährig verstarb.
Er hat sich mit seiner Karriere unendlich viel Zeit genommen. Als er 1959 mit 37 Jahren als lyrischer Tenor nach Mannheim kam (nach Kiel und Braunschweig), brillierte er lange im italienischen Fach (und angesichts des üppigen Spielplans der Ära der Generalmusikdirektoren Horst Stein und Hans Wallat auch im französischen und slawischen), ehe er sich mit fast 50 - die ihm freilich kein Mensch glauben mochte - den schweren Helden näherte. Dafür sang er auch noch mit 68 alle vier Tenorpartien in einem Münchner „Ring“-Zyklus und verabschiedete sich 74-jährig im Vollbesitz seiner stimmlichen Mitte und in beneidenswerter Jugendlichkeit als Aegisth („Salome“) von seinem Mannheimer Publikum.
Jean Cox hat sich einmal im Interview als „gesunden Typ“ bezeichnet und dankbar konstatiert, dass er wohl deshalb bei den Intendanten in aller Welt so beliebt gewesen sei. In Genf hat er einmal in zwei Wochen sieben Mal den Tristan gesungen und dabei nie markiert, sondern immer „richtig“ gesungen. Wie er glaubwürdig versicherte, hat er in seinem ganzen Leben höchstens zwei oder drei Mal Urlaub gemacht und die Theaterferien mit Weib und Kindern stets bei irgendwelchen Festspielen verbracht.
Horst Stein, Mannheimer Generalmusikdirektor von 1963 bis 1970, war für Cox der Inbegriff des „Sängerdirigenten“. Altgediente Orchestermusiker erinnern sich noch genüsslich daran, wie der ausgebildete Tenor Stein auf der Probe mit markierenden Tenören umgesprungen ist, wenn er ihnen die exponiertesten Passagen vorsang. Kein Wunder, dass Cox bei Stein einen Stein im Brett hatte. Mit großer Sympathie sprach Cox auch von Hans Wallat, in dessen Ära (1970-1980) seine spektakulärsten Erfolge fielen. Mit Wallat, den er in seiner unprätentiösen Art einen „guten Mann“ nannte und natürlich mit dem Mannheimer Orchester hat er seine bemerkenswerte Schallplatte „Jean Cox singt Wagner“ eingespielt.
Mit einer bei seinem moderaten Temperament eher seltenen Emphase sprach Jean Cox von der Zusammenarbeit mit Wolfgang Windgassen. Der ehedem gefeierte Tenorkollege hatte 1971 in Mannheim den „Othello“ von Giuseppe Verdi (in deutscher Sprache) inszeniert und in Cox einen schlechthin idealen Titelhelden gefunden. Ein Gipfelpunkt seiner Karriere - ungeachtet seiner weltweiten Wagner-Erfolge.
Ein Jammer, dass die große Opernliteratur die Heldentenöre vornehmlich zum Leiden und Sterben verdammt. Nur als Paul Hindemith zu Beginn der 1960er Jahre hier seine musikalische Farce „Neues vom Tage“ aus der Taufe hob, da balancierte Cox als „schöner Herr Hermann“, in einen Duschvorhang gewickelt, auf dem Badewannenrand und erwies sich als urkomisches Talent. Immerhin gelang es ihm auch regelmäßig, aus dem Alfred in der „Fledermaus“ ein Kabinettstück tenoraler Einfalt zu machen.
Auch ein so geradliniger Mensch wie er hält immer noch die eine oder andere Überraschung bereit. Das Geheimnis sängerischen Erfolgs erklärte er nicht etwa mit den preußischen Tugenden Arbeit und Fleiß. Er griff zu Begriffen wie Instinkt und Charisma. Auch die Frage nach einer Lieblingsrolle lief ins Leere. Die Reminiszenz an die vielen Sternstunden in jener glorreichen „Stein“-Zeit mit Eva-Maria Molnár, Cox und Michael Davidson wurde von Cox verblüffend beantwortet. Er, dem angeblich eitlen Stand der Tenöre angehörig, sagte schlicht: „Sternstunden in der Oper - das liegt immer am Dirigenten.“
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